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13.10.2005, © Vivienne

Das Gerücht 

Ziemlich nachdenklich saß ich an dem späten Nachmittag im Cafehaus. Ich hatte mir eine Zigarette angezündet und während die Melange vor mir schon kalt wurde, ging ich meinen unruhigen Gedanken nach. Nein, ich konnte es nach wie vor nicht fassen! Wieder sah ich die Kollegin aus dem dritten Stock vor mir, mit der ich ein halbes Jahr oder länger oft nichts zu tun hatte. Sie war mir eigentlich immer egal gewesen, obwohl sie als Tratsche verschrien war. Aber dieser Satz von ihr, während ich in der Arbeit mit der Zigarette beim Kopiergerät stand und mir ein paar Sachen holte, hatte sich in meinen Kopf gebrannt. „Zigarette? Würde ich aber nicht tun! In Ihrem Zustand…!“ Ich hatte sie entgeistert angestarrt, mir war zuerst gar nicht klar, was sie meinte, bis mir eine Ahnung aufging… „Irren Sie sich da nicht, Frau Gruber? Ich erwarte keinen Nachwuchs!“ Meine Stimme klang ziemlich grob.

Frau Gruber blickte mich abschätzend an, in ihrem Gesicht stand unmissverständlich der Satz. „Mir machst du nichts vor!“ Tatsächlich sagte sie zunächst nichts, dann zuckte sie die Achseln. „“…bei Ihrem blühenden Aussehen drängt sich das aber auf…“ Ich hatte wie ein Idiot reagiert, so sehr hatte mich diese Sache mit einem Mal aus der Fassung gebracht. Zunächst befragte ich ein paar Kollegen, aber die drucksten nur herum. Eine gab zumindest zu, sie hätte mal was gehört, dass ich schwanger sein könnte, aber sie wüsste nicht mehr von wem. Schließlich stiefelte ich kurz vor dem Heimgehen ins Büro meines Chefs und überraschte ihn mit den Worten. „Chef, was auch immer da geredet wird. Ich bin sicher nicht schwanger. Das Thema ist für mich schon sehr lange vom Tisch.“

Mein Chef, momentan fast erschlagen von dieser Erklärung, grinste schließlich und meinte: “Wenn du es sagst, wird es schon stimmen. Daran zweifle ich nicht. Aber…“ – er winkte mich an den Schreibtisch und dämpfte seine Stimme – „mach dir doch keine Gedanken wegen so einem Gerücht! Das tut doch keinem weh, oder?“ Aha, er hatte also auch schon davon gehört, ich hatte keinen Zweifel mehr. Wortlos lief ich hinaus, holte meine Tasche vom Schreibtisch und verließ die Firma. Aber irgendwie konnte ich heute nicht heimfahren, eine fast vergessene Erinnerung brandete in mir auf, über fünfzehn Jahre alt und schmerzhafter, als ich dachte. Sehr viel schmerzhafter. Ich sog gierig an der Zigarette. Es ging mir nicht nur darum, dass ich selber auch schon Opfer verschiedenster Gerüchte geworden war, die teilweise durchaus den Charakter von Verleumdungen angenommen hatten.

Dass ich mit diesen Geschichten nur teilweise wirklich fertig geworden war, wurde mir bei Gelegenheit immer wieder bewusst. Doch darum ging es mir jetzt gar nicht. Denn vor fünfzehn Jahren oder mehr hatte ich selber einmal geglaubt, schwanger zu sein, ein paar aufregende Wochen lang, und die Enttäuschung und der darauf folgende Kummer setzten mir plötzlich sehr stark zu. Mein Kind, das nie geboren worden war! Genau genommen hatte es auch nie existiert und war nur einer momentanen hormonellen Störung meines Körpers zuzuschreiben gewesen. Aber mit Axel ein Kind zu haben, hätte ich mir damals gut vorstellen können, besser sogar als mit Ali, denn wir wollten in unserer Beziehung nie ein Kind. Nicht einmal ganz am Anfang unserer Liebe, das heißt, welch ein ungenügender Ausdruck: wann war unsere Liebe denn am Anfang gewesen? Ich musste wohl eher sagen: als wir endlich zusammen gekommen waren. Ali und ich.

Aber jetzt, mit fast Vierzig wäre eine Schwangerschaft eine Dummheit gewesen. Mal abgesehen davon, dass ich ja ohnedies kein Kind wollte… Ich stand unvermittelt auf. Was war los mit mir? Warum pflegte ich so krause Gedanken? Plötzlich hatte ich Axels Gesicht wieder vor, ganz deutlich. Axel, den ich nach meiner Heimkehr von Salzburg kennen und lieben gelernt hatte und von dem ich fast vergessen hatte, wie er aussah. Ich schüttelte dieses Bild ab, aber ich musste wieder daran denken, wie es damals mit uns gewesen war und unvermittelt begriff ich, wie ähnlich er eigentlich Ali gewesen war. Dass mir das nie früher aufgefallen war, seltsam. Sie hätten Brüder sein können, aber Ali hatte keinen Bruder…

War es ein Fehler, bewusst auf ein Kind verzichtet zu haben? Hatte ich etwas versäumt deswegen, während zur Zeit alle Welt um mich schwanger war und schließlich diesen Zustand auch mir unterstellte? Sah ich wirklich so blühend aus? Hatte ich mal wieder zugenommen und mein Bauch rief geradezu alle Tratscher auf den Plan? Ich wusste es nicht, ich würde es auch nie wissen. Aber Ali würde in der nächsten Stunde heim kommen und sich sicher fragen, wo ich war, wenn er mich nicht daheim antraf. Ich musste mich beeilen… Mit zittrigen Fingern drückte ich der Servierkraft ein paar Münzen in die Hand und hastet zur Bushaltestelle. Alles Firlefanz! impfte ich mir ein. Alles Blödsinn! Ali wartete auf mich, daheim, und das war real und schön und wirklich. Sinnlos, Vergangenem nachzutrauern…

Vivienne

 

 

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