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05.05.2005, © Vivienne

Fast wie Pretty Woman

Albert und ich hatten an dem Samstag eine Radfahrtour ins Mühlviertel gemacht. Wie fast schon üblich mit den negativsten Konsequenzen für mich: ich hatte das Gefühl, nur mehr aus meinem schmerzenden Hinterteil zu bestehen, so sehr war es auf dem harten Fahrradsitz in Anspruch genommen worden. Ich kauerte also in bequemer Kleidung auf der Couch, neben mir ein Glas Fruchtsaft und jammerte laut. Ich war echt fertig, Sport war einfach nicht meins, aber wenn Ali sich ab und an dabei betätigen wollte, durfte ich mich nicht verweigern. Ich wusste das, also ließ ich das Schimpfen sein und tat mir nur selber leid.

Albert schlürfte seinen Kaffee. „Magst heute Video schauen?“ Ich bemerkte es immer sofort, wenn er ein schlechtes Gewissen hatte. Und diesmal konnte man das besonders gut erkennen. Ich schmunzelte verhalten und bemühte mich besonders leidend auszusehen. Albert kam gleich mit einem Berg an Videos zu mir. „Schau nur! Möchtest du heute „Titanic“ sehen?“ Nein, darauf hatte ich keine Lust. Nicht die geringste – Eisberge und kaltes Wasser – nein danke! Albert kämpfte sich durch den Stoß. „Pretty Woman“? Seine Stimme klang erwartungsvoll. Das hätte dir so gepasst! dachte ich mir. Also schüttelte ich entschieden den Kopf. Ich kannte seine Schwäche für Julia Roberts nur zu gut.

Mein Freund blickte mich leicht enttäuscht an. „Bist du sicher? So ein schönes Märchen!“ Ich lachte laut. „Fast aus dem Leben!“ widersprach ich schließlich. Albert zog die Stirne kraus. „Aus dem Leben?“ Ich nickte. „Mein Vater hatte vor vielen Jahren einmal einen Kollegen, der mit einer ehemaligen Prostituierten verheiratet war.“ Ich blickte in der Erinnerung starr vor mich hin. „Fritz nannten sie ihn, richtig, der kleine Fritz.“ Albert war mit einem mal ganz Ohr. „Aber ned wirklich! Solche Sachen passieren tatsächlich?“ Also kramte ich die Geschichte hervor, oder besser gesagt, das, was mir davon noch in Erinnerung geblieben war.

„Also den Mann nannten sie den kleinen Fritz, was ich weiß, war er nicht einmal 1,60 m groß gewesen. Was vielleicht erklärt, dass er ein zwischenmenschliches Problem hatte und häufig in Bordells ging. Dort kaufte er sich die Frauen – sonst  sahen sie eher auf ihn herab. Aber der Fritz hatte schnell gelernt: mit Geld war er jemand, auch wenn ihn die Frauen sonst nicht so wirklich registrierten.“ Ich dachte über meine Worte nach. „Eigentlich war er ein armer Teufel. Ein sehr armer Teufel. Mit der Körpergröße… Und fast wie im Märchen. Dort hat er dann eine Frau getroffen, die ein wenig anders war als die meisten dort. Er hat sich verliebt und sie sich auch. Sie gab ihren „amoralischen“ Job auf und wurde seine Frau.“

Albert verschluckte sich fast am Kaffee. „Von so einem Fall habe ich noch nie gehört! Tatsächlich? Und das ist gut gegangen?“! Angestrengt versuchte ich mich zu erinnern. „Ja, es ging gut. Mal abgesehen davon, dass Fritz nicht alt wurde. Er stammt aus einer Familie, in der kaum jemand ein höheres Alter erreichte. Seine Eltern lebten schon lange nicht mehr, als er noch ein junger Mann gewesen war… Albert spielte mit einer Videokassette, machte den Verschluss wieder auf und wieder zu. Ich grinste ihn an und nahm wieder den Faden auf. „Die beiden hatten auch ein paar Kinder. Drei oder vier, ich glaube, es waren lauter Buben. Die Ehe lief ganz gut, mit den üblichen Streitereien und ihre Vergangenheit war kein wirkliches Thema. Was ich weiß, war sie nicht wirklich lang in dem Milieu gewesen…“

Ich bemerkte, dass ich mich zum ersten Mal richtig mit dieser Geschichte auseinandersetzte. Kann so eine Ehe gut gehen? Wenn beide sehr tolerant und stark sind, und wenn es wirklich Liebe ist… Ich wusste im Grunde wenig vom kleinen Fritz. Er hatte nur ab und an wie andere Kollegen meines Vaters beim Häuselbauen meiner Eltern ausgeholfen. Sein Gesicht war selten konturlos in meinem Gedächtnis haften geblieben. Eigentlich erinnerte ich mich nur an sein „Totenbild“ genauer, mit einem lachenden, verschmitzten Lächeln… Albert zupfte mich am Ärmel. „Ja? Und dann?“ Ich schreckte leicht auf. „…nun, er bekam Krebs. Ein Karzinom im Magen. Inoperabel…“ Eine endgültige Diagnose und kein leichter Tod, dachte ich mir. Große Schmerzen und eine unversorgte Familie. Was war wohl aus seiner Frau geworden?

Das erste Mal seit Fritz vor über fünfundzwanzig Jahren verstorben war dachte ich über seine Witwe nach. Keine strahlende Schönheit wie Julia Roberts war sie gewesen und auch Fritz hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit Richard Gere gehabt. Und dennoch verband sie die Geschichte dieses Paares: nicht so kitschig, nicht so banal und vor allem auch der Realität ausgesetzt. Ein Filmtraumpaar lernt nie den Alltag kennen, weil dann schon der Abspann läuft…

Vivienne

 

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