Home Prosa Aus dem Hinterhof der Seele
14.07.2005, © Vivienne
Die Ohrfeige
Georg sah auf die Uhr.
Er saß in der U-Bahn.
Musste dringend zu einem Vorstellungsgespräch.
Wenn dieser Job es wieder nicht werden würde
Seine Wohnung wie sollte er sie dann bezahlen?
Er war eine Monatsmiete im Rückstand.
Er brauchte diesen Job.
Wie einen Bissen Brot.
Notwendiger.
Die Türen öffneten sich.
Ein Schwall Leute strömte herein.
Hektisch ließ Georg seinen Blick schweifen.
Eine junge Frau trat ein.
Schwer bepackt mit Einkaufstaschen.
Setze sich ihm gegenüber.
Mit der linken Hand telefoniert sie.
Ja, mein Schatz.
Ich habe alles mit.
Wir können heute Abend grillen.
Die Frau lächelte glücklich.
Ich lieb dich auch
Sie blickte hoch.
Steckte das Handy ein.
Einen Moment trafen sich ihre Blicke.
Die von Georg und von der drallen jungen Frau.
Georg zuckte zusammen
Das war zweifellos Annette!
Plötzlich war das Vorstellungsgespräch nebensächlich.
Georg ertrank in seinen Erinnerungen.
Annette hatte ihn einmal geliebt.
Und er sie auch.
Aber so genau konnte er das nicht mehr beurteilen.
Sie war damals schlanker gewesen.
Um einiges sogar.
Und er hatte gern mit ihr geschlafen
Annette war verrückt nach ihm gewesen.
Sie hatte ihm sogar Geld geliehen
Nicht wenig.
Und er hatte es gerne genommen.
Und nie zurückbezahlt.
Wie lange war es her?
Sieben oder acht Jahre.
Mein Gott so lange schon.
Er hatte damals studiert.
Was war das noch?
BWL.
Er hatte nie einen Abschluss gemacht.
Verstohlen beobachtet er Annette.
Sie sortierte ungeniert ihre Sachen in den Tüten.
Georg begann zu frösteln.
Grillgewürze.
Kräuterbutter.
Eine Flasche Öl.
Kinderspielzeug.
Eine Babyrassel.
Georg senkte den Kopf wieder.
Plötzlich hatte er Bauchschmerzen.
Mittlerweile war ihm der Termin egal.
Er würde ohnedies zu spät kommen.
Georg hatte Annettes Gesicht vor sich.
Schmal und blass.
Und sie hatte ihm gerade erzählt, dass sie schwanger war.
Von ihm.
Für einen Moment spürte er das Entsetzen wie damals.
Er erinnerte sich genau.
Er hatte zu schreien begonnen.
Ob sie wahnsinnig geworden wäre?
Ob sie denn nie die Pille genommen hätte?
Annette begann zu weinen.
Ging auf ihn zu.
Da hatte er sie von sich gestoßen.
Schlug ihr mit der Hand ins Gesicht.
Es war ihm egal gewesen, was aus ihr würde.
Noch am Abend war er heim zu seinen Eltern gefahren.
Von Annette selber hatte er nie mehr etwas gehört.
Das Kind hatte sie verloren.
Verloren, weil er sie geschlagen hatte.
Irgendjemand hatte es ihm später erzählt.
Sein Kind.
Eine bequeme Lösung.
Er hätte nie dafür zahlen können.
Seinen Eltern warfen ihn nämlich kurz danach aus dem Haus.
Weil er ihnen nur auf der Tasche lag.
Und seine damalige Freundin hätte sicher etwas dagegen gehabt.
Wenn er mit ihrem Geld die Alimente bezahlt hätte.
Im Grunde war es besser gelaufen als anzunehmen war.
Aber irgendwie
Seither war der Wurm drinnen gewesen in seinem Leben.
Alles was er anpackte ging schief
Vorsichtig beobachtet er Annette.
Ob sie ihn erkannt hatte?
Es schien nicht so.
Er hatte Koteletten.
Und das Haar trug er viel länger
Annette schien seine Blicke gar nicht zu registrieren.
Sah sich in der U-Bahn um.
Offenbar hatte sie jetzt Kinder.
Da brauchte er sich ja keine Gedanken zu machen
Wegen damals.
Das hatte er nicht gewollt.
Aber es war wirklich besser so gewesen
Die U-Bahn leerte sich.
Annette stand auf.
Packte ihre Taschen.
Verließ den Platz ihm gegenüber.
Einen Moment wieder ein Blickkontakt.
Intensiv.
Georg zuckte zusammen.
Hass und Verachtung in Annettes Blick.
Einen Sekundenbruchteil körperlich spürbar.
Dann ging sie weiter nach vor.
Setzte sich in ein leeres Geviert.
Georg kaute nervös an den Nägeln.
Sie hatte ihn erkannt.
Daran bestand kein Zweifel.
Ihr Blick hatte Bände gesprochen.
War wie eine Ohrfeige gewesen.
Mitten in sein Gesicht.
So wie damals
Als er sie geschlagen hatte.
Das war nicht sein Tag heute.
Er spürte es.
Und das Gespräch konnte er vergessen.
Es war gelaufen.
Bevor er Herrn Schmitz überhaupt gegenüber gesessen war.
Er starrte Annette nach.
Zwei Stationen später verließ sie die U-Bahn.
Offenbar war sie jetzt in einer angenehmen Wohngegend daheim
Vivienne
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