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 Home Prosa Aus dem Hinterhof der Seele

23.11.2005, © Vivienne

Ungewollt 

Patricia goss sich Tee ein.
Der kleine Sven rührte in seinem Brei.
Er saß im Hochstuhl.
Krähte laut.
Als wollte er zur Musik im Radio mitsingen.
Horst beugte sich zu ihr.
Küsste sie.
Ich muss los, Liebes.
Gegen 18:00 Uhr bin ich wieder da!
Tschüs!
Tschüs.
Patricia starrte aus dem Fenster.
Ihre Mutter würde gleich kommen.
Um Sven am Tag zu betreuen.
Sie musste selbst auch in die Arbeit.
Fünfundzwanzig Stunden die Woche.
Seit fünf Wochen…
Mechanisch putzte sie das Gesicht von Sven.
Er war voller Brei.
Sven beeindruckte das wenig.
Er sang weiter.
Während der ganzen Prozedur.
Er war so ein süßes Kind!
Patricia musste sich setzen.
Barg das Gesicht in ihren Händen.
Sie fühlte Übelkeit in sich aufsteigen…

Dr. Karner sah sie aufmerksam an.
Erstaunen lag in seiner Stimme.
Sie freuen sich nicht?
Patricia schüttelte den Kopf.
Nein.
Das…
Das war nicht gewollt.
Nein.
Sie wandte sich ab.
Ihr Frauenarzt sollte die Tränen nicht sehen.
Tränen der Verzweiflung.
Was verstand er schon?
Für Karner war sie nur eine Frau gewesen.
Die sich ein Geschwisterchen für ihren Sohn gewunschen hatte…
Ein Wunschkind also…
Die Wirklichkeit sah anders aus.
Schon wenige Wochen nach Svens Geburt hatte sie mit der Jobsuche
begonnen.
Unter großem Druck.
Horsts Einkommen reichte bei weitem nicht.
Die Möbel der neuen Wohnung mussten abbezahlt werden.
Das neue Auto musste abbezahlt werden.
Als Vertreter konnte er sich seine Zeit sehr frei einteilen.
Hatte viel Zeit für sie und Sven.
Aber nachdem der alte VW nicht mehr ging.
Hatte er sich einen Neuwagen kaufen müssen.
Was habe ich von einem Billigwagen?
Der dauernd repariert werden muss?
Horst hatte Recht.
Sie hatte das auch nie bezweifelt.
Und darum hatte sie sich nach einer Arbeit umgesehen.
Und nach fast einem Jahr hatte die Firma Klober sie aufgenommen.
Kinderwunsch abgeschlossen?
Sie erinnerte sich an die Frage ihres Chefs mit Gänsehaut.
Sie hatte genickt.
Ganz energisch.
Kein Thema mehr…

Patricia kniete vor der Toilette.
Tränen liefen ihr über die Wange.
Sie hatte eben erbrochen.
Fühlte sich elend.
Ihre Mutter hatte vor zehn Minuten Sven geholt.
Sie hatte nichts bemerkt.
Wenigstens das…
Wie hatte das passieren können?
Diese Schwangerschaft?
Patricia verstand es nicht.
Die Pille kostet ein Vermögen.
Jeden Monat wieder.
Und dann dieser Reinfall.
Sie konnte es sich nicht erklären.
Nein.
Patricia begann zu schluchzen.
Ihre Wimperntusche verlief auf ihren Wangen.
Ihr Job war weg.
Das stand fest.
Sie hatte sich nicht an die Abmachung gehalten.
Es würde keinen Sinn haben zu diskutieren.
Sie verstand ihren Chef ja.
Eine schwangere Mitarbeiterin kostete jede Menge Geld.
War dauernd im Krankenstand.
Und genoss jede Menge Extraschutz.
Ihr Chef würde ihre Schwangerschaft wohl als Provokation auffassen.
Als billigen Trick.
Dabei hatte sie händeringend eine neue Arbeit gesucht.
War schon am Verzweifeln gewesen…
Warum jetzt?????
Ausgerechnet jetzt?
Jetzt, wo alles zu laufen begann?

Patricia gab sich einen Ruck.
Sie musste in die Firma.
Zwar hatte sie Gleitzeit.
Aber ewig warten konnte sie nicht.
Sie schminkte sich noch einmal.
Übermalte die Tränenspuren.
Draußen stieg sie auf das Rad.
Sie hatte nur fünf Minuten in die Firma.
Die frische Luft machte sie ruhiger.
Kühlte ihr Gemüt ab.
Patricia konnte wieder klarer denken.
Sie musste mit Horst reden.
Ewig konnte sie nicht warten.
Und das Kind…
Patricia wurde hart.
Es ging nicht anders.
Sie hatten keine Wahl.
Sie würde sich einen Tag in die Klinik legen.
Und dann war es vorbei.
Vielleicht sollte sie sich überhaupt sterilisieren lassen.
Dann fiel auch die Unsicherheit mit der Pille weg.
Die sie anscheinend nicht wirklich vertrug.
Patricia schnaufte tief.
Was Horst wohl sagen würde?
Horst, der Familienmensch?
Tu es nicht.
Wir werden es schaffen.
Trotzdem.
Sie kannte ihn so gut.
Er war so ausrechenbar.
Aber das war nur Gerede.
Er wusste am besten von den Problemen mit der Bank.
Horst würde es einsehen.
Früher oder später…

Vivienne

 

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