von Vivienne – September 2004
Herbst
Wind frischt auf.
Ein rötlich-gelbes Blatt des wilden Wein fällt zu Boden.
Es ist fast kalt.
Eine undurchsichtige, grau-weiße Wolkendecke überzieht den Himmel.
Es sieht nach Regen aus
Regen auch in meinem Herzen
Vor zwei Tagen noch strahlte der Himmel in schönstem Türkis.
Sattes Grün dazu im Kontrast.
Von Bäumen und Sträuchern.
Doch die Zeichen der Zeit lassen sich nicht leugnen.
Wohin man auch sieht.
Reife Früchte plumpsen zu Boden.
Woanders stehen die Bäume schon leer.
Sie wurden abgeerntet.
Früchte lagern vielleicht in einem Keller.
Oder wurden schon verarbeitet.
Zu Marmelade oder Kompott.
Ich wandere den Feldweg entlang,
Ein paar Nüsse liegen am Boden.
Wenige Meter vor mir der alte Nussbaum.
Morsch sieht er schon aus.
Viele Blätter liegen dürr am Boden.
Darunter jede Mange Nüsse.
Die Zeit ist auch an ihm nicht spurlos vorübergegangen.
Gefährte meiner Kindheit.
Oft bin ich an ihm vorüber gelaufen, wenn ich den Schulweg über die Felder abkürzte.
Mit den ihm eigenen Blütenständen im Frühjahr.
Oder im Winter, wenn er sein Geäst wie skurille Arme nach mir auszustrecken schien.
Im Sommer wirkt er unverändert.
Machtvoll und stark.
Jetzt im Herbst kann er seine Schwächen nicht verbergen.
Da fehlt ein Stück in der Rinde.
Dort wurde ihm ein großer Ast geraubt.
Und weiter unten ist jener tiefe Riss sichtbar, unter den man seine Verletzbarkeit erkennen kann.
Alles morsch.
Ob du ihn 25 Jahren noch stehst?
Ich frage ihn das, während meine Hände über seine raue Rinde streichen.
Vielleicht schneidet ihn auch der Bauer um, dem die Wiese gehört.
Er entzieht dem Boden nur Nährstoffe.
Und wer sammelt schon die Nüsse?
Sie bleiben liegen.
Werden von den Tieren gefressen.
Mäuse.
Ratten.
Eichhörnchen.
Verwittern vielleicht.
Manch einer treibt auch aus.
Bildet ein kleines Bäumchen.
Das den Unbillen der Natur nicht stand hält.
Oder wie die Grashalme beim Mähen fällt.
Sanft bricht die Sonne jetzt durch den bedeckten Himmel.
Mit einem Mal ist es deutlich heller.
Ich spüre das Licht fast körperlich.
Warm.
Und doch ist es nur Trug, denn der Wind bläst weiter.
Fast gleichzeitig zieht auch der Himmel wieder zu.
Die Wolken haben Macht gewonnen über die Sonne.
Macht, die ihnen den ganzen Sommer fehlte.
Langsam setze ich meinen Weg fort.
Auf der Straße weiter vorne laufen ein paar Kinder.
Ich höre sie schreien und lachen.
In meiner Kindheit ließ man noch Drachen steigen.
Die Erinnerung kehrt wieder.
Wie ich selber einen Drachen bastelte, der nicht und nicht fliegen wollte
Ein technischer Fehler.
Mittlerweile weiß ich, wie man Drachen steigen lässt.
Gewusst wie
Heute haben die Kinder keine Drachen.
Ist wohl auch unmodern geworden.
Ich sehe den Kindern beim Herumalbern zu.
Beobachte ihre Gesten und ihr Verhalten untereinander.
Und sehe mich selbst wieder.
Mit fliegenden roten Zöpfen.
Tief in mir bin ich wohl noch immer dieses Mädchen.
Auch wenn mein Haar längst nicht mehr rot und lang ist
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