Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Juni 2004



Seele baumeln lassen

Ich sitze an der Donau.
Knie angezogen.
Spür die Sonne im Genick.
Die Wolken ziehen.
Leichter Wind weht.
Kühlt die Haut.
Kühlt das Gemüt.
Streichelt die Seele.
Möwen fliegen kreischend über dem Wasser.
Der Strom hat heute eine ganz herrliche Farbe.
Ein Blau wie meine Augen.
Hell.
Mit einem sanften Tupfer Grau gemischt.
Das Wasser ist in Bewegung.
Kräuselt sich leicht.
Wenige Schritte vor mir klettern ein paar Schwäne aus dem Wasser.
Putzen sich.
Reißen sich die eine oder andere Feder aus.
Vertreten sich die Beine.
Wenn ein Artgenosse zu nahe kommt.
Muss er sich schon mal anfauchen lassen.
Ich lass mich nicht stören.
Werfe Kieselsteine ins Wasser.
Sehe den Kreisen zu.
Wie sie sich ausbreiten.
Konzentrisch.
Der Platz ist voller Leben.
Schmetterlinge schaukeln an mir vorbei.
Bienen summen.
Ein vielstimmiger Chor erfüllt die Luft.
Jedes Insekt singt in einer andern Tonlage.
Das leise Plätschern des Wassers.
Setzt wie ein sanfter Streicher Akzente.
Ich lehne mich zurück.
Schließe die Augen.
Und gebe mich ganz dem Moment hin.
Spür einen Käfer über meinen Knöchel klettern.
Die Berührung kitzelt.
Ich puste den kleinen Kerl von der Wade.
Der Himmel ist blau wie lange nicht.
Wie ein heller Saphir.
Doch es ist nicht das strahlende Blau des Sommers.
Des Sommers vom Vorjahr.
Eine Wolke bedeckt die Sonne.
Sofort wird es eine Spur kühler.
Aber nur für ein paar Momente.
Die Wolke zieht weiter.
Und die Sonne strahlt wieder ungehindert.
Mein Fuß ist eingeschlafen.
Staksig stehe ich auf.
Und schlendere Richtung Kraftwerk weiter.
Die Schwäne drohen mir mit ihren mächtigen Flügeln.
Ich hab sie erschreckt.
Ich kam ihnen zu nah.
Ein prachtvoller Anblick.
Mächtige Tiere.
Nicht ungefährlich.
Einer von ihnen ist dunkel gescheckt.
Sein Hals ist ganz schwarz.
Den hab ich hier noch nie gesehen.
Langsam löse ich mich vom Anblick der Vögel.
Gehe leicht verträumt weiter.
Bisweilen ein Radfahrer.
Der mir begegnet.
Einmal ein Spaziergänger, der vom Kraftwerk kommt.
Ich nehme sie fast nicht wahr.
In Gedanken versunken setze ich Schritt um Schritt.
Während die Sonne meinen Nacken kost.
Das Grün der Bäume und Sträucher ist ganz frisch.
Erinnerungen tauchen auf.
Blass.
Wie eine Scharzweiß-Fotographie.
Ein kurzer Ausflug in die Kindheit.
Als es noch kein Kraftwerk gab.
Als es hier ganz anders aussah.
Wie ein Bild aus einem Märchen.
Unwirklich.
Verblichen.
Da höre ich eine Stimme hinter mir.
Jemand grüßt mich.
Die Fotographie löst sich auf.
Und ich sag hallo…

Vivienne

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