Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Mai 2004



Zweckpessimismus

Es sind oft gar nicht die Mitmenschen.
Die einem alles vermiesen.
Die alles Schöne neiden.
Oder immer ein Haar in der Suppe finden.
Gar nicht selten.
Sind wir es selbst.
Die uns um die schönste Freude bringen.
Wir selbst sind es.
Die uns hindern.
Glücklich zu werden.
Man ist nicht in der Lage.
Einen schönen Moment wirklich auskosten.
Sich dem Moment hinzugeben.
Als gäbe es kein Morgen.
Man fürchtet immer irgendetwas.
Irgendetwas, das vielleicht sein könnte.
Auf das man nicht vorbereitet ist.
Möglicherweise auch einen Schicksalsschlag.
Und in dem man sich ausmalt.
Was alles passieren kann.
Meint man eben das alles zu verhindern.
Vermeintlich.
Ein Trugschluss.
Zweckpessimismus.
Ich fürchte mich jetzt schon ein bisschen für alles.
Dann passiert es vielleicht nicht.
Und ich kann einen Moment verschnaufen.
Aber falls doch etwas geschieht.
Dann bin ich wenigstens vorbereitet.

Verstehen Sie was ich meine?

Im Grunde ist solches Denken schizophren.
Und dennoch kann ich mich selber solcher Gedankengänge.
Nicht immer erwehren.
Der Grund?
Schlechte Erfahrungen.
Unangenehme Erlebnisse.
Ungerechtigkeit.
Und je älter ich werde.
Desto schlimmer wird es für mich.
Es wird immer schlimmer, damit umzugehen.
Ich ertrage ihn nicht mehr.
Meinen Zweckpessimismus.
Der im Grunde nur eine hilflose Reaktion ist.
Eine hilflose Reaktion auf meine Angst.
Angst, zu versagen.
Angst, Erwartungshaltungen nicht zu erfüllen.
Angst, einen geliebten Menschen zu verlieren.
Angst, benutzt zu werden.
Angst, alles zu verlieren, was mir wichtig ist.
Eine hilflose Reaktion auch auf meinen geringen Selbstwert.
Alles Schöne im Leben nicht Wert zu sein.

Natürlich nicht immer.

Aber wenn mich die Angst packt.
Dann gründlich.
Und ich halte es nicht mehr aus.
Alles zu hinterfragen.
Mich immer fürchten zu müssen.
Vor irgendetwas.
Das vielleicht nie passiert.
Einfach nur um der Angst willen.
Ich wünsche mir.
Den Gordischen Knoten zu durchschlagen.

Leben – nur für den Augenblick!
Morgen, das ist mir so egal.
Alles Mögliche kann passieren.
Das stimmt.
Aber auch gar nichts.
Und wenn etwas passiert.
Dann ist es nicht meine Schuld.
Und ich will mir nicht den Kopf darüber zerbrechen.
Ob es morgen regnet.
Das trifft mich jetzt nicht
Falls ja, werde ich mir einen Schirm besorgen.
Oder eben einmal nass werden.
Ich werde sehen, wie das Wetter sein wird.
Und mich darauf einstellen.
Morgen.

Ich möchte das Leben spüren.
Einfach nur sein.
Ohne Ballast.
Und die Freude ausgeizen.
Bis in meine Zehenspitzen.
Möchte spüren.
Wie das Glück in mir aufgeht.
Wie die Sonne an einem strahlenden Sommertag.
Ich kann nun mal nicht lachen.
Wenn es nicht in mir selber lacht.
Und die Dunkelheit in mir.
Hat ihren Platz.
Wenn es an der Zeit ist.
Nicht früher.
Und selbst dem Kummer noch eine gute Seite abzugewinnen.
Heißt auch das Leben an sich schätzen zu wissen.
Zum Tag gehört die Nacht.
Zur Sonne der Regen.
Zur bunten Natur die Einöde.
Beide Seiten annehmen können.
Ist höchste Lebenskunst.
Hilft Frieden in sich finden.
Kraft zu beziehen.

Freude und Leid.
Sind oft nur einen Wimpernschlag getrennt.
Sind aber zwei Teile unseres Lebens.
Gehören untrennbar zu uns.
Beides hat seine Berechtigung.
Beides seine Zeit.
Wer das Glück vorbehaltlos genießt.
Wird auch mit den dunklen Seiten des Daseins leichter fertig.

Ich will mich nicht mehr fürchten.
Nie mehr.
Und die Sorge möchte ich nur mehr dann spüren.
Wenn es an der Zeit ist.
Sich zu sorgen…
Nicht früher…

Vivienne

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