Home Kolumnen Die bunte Welt von Vivienne
29.08.2005, © Vivienne
Der Mann mit der Narbe
Neulich waren wir eine Gruppe von Kolleginnen abends noch in der Linzer Altstadt unterwegs. Wir wanderten von Lokal zu Lokal und schließlich, schon nach Mitternacht, orderte jede von uns in der Cocktail Bar einen Cocktail. Ich streckte die Füße von mir, die schon etwas schmerzten und stellte, während ich mich umsah, fest, dass es mir hier gefiel. Der Blick der Kolleginnen verriet Ähnliches. Und ich spürte schnell, woran das lag: der Kellner, mit kurzen, blonden Haaren und leuchtenden blauen Augen, sah sehr interessant aus. Vor allem auch wegen der zwei Narben im Gesicht. Eine an der Wange links, und eine kleinere unterhalb der Nase.
Der gut aussehende Mann höchst persönlich riss mich aus meinen Überlegungen. Er servierte uns fünf die Cocktails mit einem angedeuteten Grinsen und kassierte von uns. Wir musterten ihn alle unverhohlen und warfen uns beredte Seitenblicke zu. Vergeben waren wir zwar schon, das stimmte, aber das hieß ja nicht, dass wir blind durch die Welt gehen mussten. Ich schlürfte meinem Sex on the Beach und starrte im schummrigen Licht geradeaus vor mich hin, als ich doch tatsächlich hörte, wie sich Cora, eine von uns, an den Kellner wandte. Sag, woher hast du denn deine Narben? Wir fragen uns das schon die ganze Zeit! Der Mann nickte und deutete uns, dass er zuerst zu den Nebentischen musste, abservieren. Aber nach etwa zehn Minuten stand er wieder da, er hatte nicht vergessen auf Cora und ihre Frage. Er schmunzelte breit und strich wie zufällig mit dem Zeigefinger über die Narbe.
Ich werde immer wieder darauf angesprochen, meinte er schließlich. passiert ist das Ganze vor gut zwei Jahren. Ihr werdet ja wissen, dass leider die letzte Zeit immer wieder randaliert wird in der Linzer Altstadt. Und vor gut zwei Jahren gab es hier mal eine Messerstecherei in der Bar. Ein betrunkener Mann begann zu schreien und mit einem Bekannten zu raufen. Als ich hinlief, um die beiden Streithähne zu trennen, zückte er plötzlich sein Messer. Er erwischte mich zweimal, das eine Mal hier an der Wange und das andere hier, unter der Nase Er zuckte die Achseln. Ich hatte Glück, Mädels, wisst ihr, großes Glück. Hier – er deutete auf die Wange – hier hat er das Auge ganz knapp verfehlt. Das wäre wirklich schlimm gewesen, denn mit einem verletzten Auge könnte ich wohl meinen Beruf nicht mehr ausüben
Wir bestaunten den Mann mit großen Augen. Das klang ja richtig abenteuerlich, was er uns da erzählte. Natürlich hatten auch wir immer wieder von Übergriffen in der Altstadt gelesen und gehört, da von gröberen Streitereien und dort von einem Polizeieinsatz. Aber persönlich betroffen gewesen war ich selber bis jetzt nicht und ich hatte auch nie etwas Derartiges mitbekommen. Schließlich luden wir den Kellner, Tom hieß er, noch auf ein Getränk ein und der genoss unsere Bewunderung unverhohlen. Löwe, Aszendent Skorpion ließ er uns noch einen Blick in seine Sterne werfen. Interessant, befand ich für mich, sehr interessant, ungewöhnlich, Feuer gegen Wasser Gegen zwei Uhr früh brachen wir schließlich auf, ich rief mir ein Taxi und fuhr heim. Ali saß noch vor dem Fernsehgerät. Er begrüßte mich schmunzelnd Ich weiß nicht mehr wie ich im Bett gelandet bin.
Am nächsten Morgen stand ich spät auf. Ja, ich wurde alt, nächtens herumzuziehen war nicht mehr ganz so meine Sache, oder besser gesagt: ich bevorzugte zeitliche Limits. Ali hatte schon Kaffee gemacht und zeigte mir freudestrahlend eine Wetterseite im Web! Kroatien hatte noch immer mehr als angenehme Temperaturen, und dort wollten wir ja auch nach einigem hin unsere verspätete Hochzeitsreise verbringen. Mein Körper schrie aber laut nach Koffein, Kroatien war noch so weit weg Ich biss vom Kipferl ab und füllte den Tank wieder auf. Wo wart ihr denn gestern? Albert setzte sich wieder zu mir, stützte die Ellbogen auf den Tisch und musterte mich mit unverhohlener Neugier. Ich musste schmunzeln, als ich ihn begutachtete, so wie er dasaß. Sollte ich ihn zappeln lassen?
Nein, ich erzählte von unserer Tour de Altstadt und wie wir schließlich in der Cocktail Bar gelandet waren. Auch die Geschichte mit dem Kellner ließ ich nicht aus, wieso auch? Aber Ali begann zu grinsen. Messerstecherei in der Cocktail Bar? Der blonde Kellner, dieser, wie heißt er, Tom? Ist auch egal! Der hat doch die Narben nicht von einer Messerstecherei! Ich verkutzte mich beinahe an meinem Kaffee. Woher willst du das denn wissen? Ali setzte einen besonderen Blick, einen von der Sorte, wenn es ihn freut, dass er einmal etwas besser weiß als ich. Weil er die Narben schon ewig hat. Ich bin früher, bevor wir zwei zusammengekommen sind, dort ein- und ausgegangen. Du kannst sicher sein: die Narben hat er schon vor zehn Jahren gehabt.
Ich wusste einen Moment nicht, was ich sagen sollte und stellte mein Kaffeehäferl wieder hin. Aber warum lügt er? Und warum erzählt er uns so eine dumme Geschichte? Ali grinste zufrieden. Geltungssucht, mein Schatz. Ein Bekannter hat mir einmal erzählt, dass Tom anscheinend als kleiner Bub von einer Dogge angefallen worden ist und dass die Narben von den Bissen stammen. Dass er das Auge fast verloren hätte, stimmt demnach schon, aber wie gesagt: keine Messerklinge dürfte ihn je dort berührt haben. Der hat euch ein Gschichtl erzählt Ich sagte kein Wort mehr sondern schenkte mir Kaffee nach. Das musste ich erst verdauen. Was wohl die Kolleginnen dazu sagen würden ?
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