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26.11.2005, © Vivienne

Eine Nacht im Kittchen

Richard war tot. Fast betäubt saß ich in der Küche am Tisch. Vor mir ein Glas Wasser und daneben mein Handy, durch das ich eben die traurige Botschaft vernommen hatte. Ein alter Freund hatte sich bei mir gemeldet und von dem hatte ich erfahren, dass mein Ex-Freund einem tückischen Krebsleiden erlegen war – man hatte die Krankheit, die sich schleichend ausgebreitet hatte, erst kürzlich diagnostiziert, aber die Operation kam zu spät. Richard, den ich so geliebt und der mich so schmählich  betrogen hatte, lebte nicht mehr, existierte nicht mehr. Die Nachricht traf mich unerwartet und viel mehr, als ich mir je hätte erträumen lassen… Und während ich auf Albert wartete, rekapitulierte ich die knapp dreijährige Beziehung zu dem Mann, der mich fast geheiratet hätte und zur Mutter seines Kindes machen hatte wollen…

Als ich Richard kennen lernte, war ich noch unbeschreiblich jung und hübsch, wie ich meinte. Wir trafen uns auf einem mehrtägigen Seminar, das ich von jener Großhandelsfirma aus in Wien absolvieren hatte müssen und Richard befand sich aus einem ähnlichen Grund dort. Wir trafen in dem Seminarhotel immer wieder aufeinander und ich verstand mich von Anfang an prächtig mit ihm. Richard führte einen guten Schmäh, wie man so sagt, er war, wie ich zunächst nicht ahnte, gebürtiger Burgenländer und erst über Umwege nach Linz gekommen. Da wir beide länger in Wien festgehalten waren, verbrachten wir wie selbstverständlich viel Zeit miteinander. Und schließlich schlug mir Richard mit schelmischem Blick vor: „Was hältst du davon, wenn wir uns heute Abend die Nacht um die Ohren schlagen? Ein wenig fortgehen, etwas anstellen?“ Zunächst hielt ich überhaupt nichts von dieser Idee.

Ich musste natürlich sofort daran denken, dass wir morgen früh wieder ab 8:00 Uhr unser Seminar hatten, das einen ganzen Tag dauern würde. Wie sollten wir das durchstehen, wenn wir die halbe Nacht durch Wien ziehen wollten? Richard lachte sehr, als ich meine Einwände vorbrachte. Er musterte mich intensiv, dann nahm er meine Hand und flüsterte mit leiser, einschmeichelnder Stimme: „Pass auf, Mädel. Vergiss das Seminar Morgen. Das ist total unwichtig, das läuft uns nicht davon! Aber…“ Seine Stimme wurde eindringlich. „…diese Nacht gehört uns beiden und diese Gelegenheit sollten wir nicht so einfach ziehen lassen. Wir könnten doch etwas versäumen, oder? Und wäre das nicht wirklich schade?“ Richard hatte die Gabe die widersprüchlichen Gefühle in mir wach zu wecken. Ich hatte das sehr schnell bemerkt und war mir darum nicht so ganz sicher, ob er wirklich der richtige Umgang für mich war.

Aber als er mich so ansah und meine Hand nicht mehr loslassen wollte, wurde das Bedürfnis in mir übermächtig, meine sonst so stark ausgeprägte Verlässlichkeit zu vergessen, und sei es nur für diese eine Nacht. Egal, was morgen war – er hatte doch recht! Richard und ich zogen also an diesem Abend durch Wien, und man mochte es nicht glauben: ich trank mehr als mir gut tat und ich entdeckte den verborgenen Hang zum Nachtvogel in mir. Unglaublich – ausgerechnet ich, die solide Vivienne! Es war schon nach Mitternacht, als wir in der Innenstadt ein Lokal ausfindig machten, dass sich „Das Kittchen“ nannte. Richard kannte es von früheren Spritztouren und ehe ich mich versah, schleppte er mich hinein, orderte ein paar Pfirsichspritzer für uns und unglaublich schnell hatte ich einen handfesten Schwips sitzen.

Später fragte ich mich, wo ich meine Selbstbeherrschung in jener Nacht gelassen hatte. Richard begann bald ungeniert zu schmusen mit mir und was ich mir in nüchternem Zustand in einem öffentlichen Lokal verboten hätte, hier genoss ich die Knutscherei mit dem gut aussehenden Mann in meinem Alter. Der Alkohol hatte tatsächlich eine ziemlich enthemmende Wirkung auf mich, Richard ging mir in dem Lokal, in dem uns kaum jemand beachtete, ziemlich an die Wäsche, was mir aber in meinem Zustand ziemlich normal und vor allem auch als mehr als nur angenehm erschien. Wenn mich Richard nicht küsste oder betatschte, erzählte er und redete er sehr viel und wie er später zugab: er war selber sehr nervös, weil er damit gerechnet hatte, dass ich mich auf seine Avancen hin eher spröde verhalten würde. Die Angst plagte ihn im Hinterkopf, ich würde plötzlich aufschreien und ihm eine Szene machen…

Tatsache ist, dass ich aber in dieser Nacht wohl endgültig mein Herz an Richard verlor. Gegen drei Uhr morgens, als wir die einzigen Gäste im „Kittchen“ waren, schickte Richard schließlich eine SMS an seinen Chef: „Hilfe, wir sind im Kittchen! Du musst uns auslösen!“ In unserem Schwips fanden wir diese Idee einfach genial und schließlich orderte Richard ein Taxi in dem wir ins Hotel zurückfuhren. Dunkel habe ich in Erinnerung, dass Richard sogar den Rest der Nacht bei mir im Hotelzimmer bleiben wollte, aber ihm ist wohl schnell klar geworden, dass ich zu nichts mehr in der Lage gewesen wäre – schon gar nicht zu einer leidenschaftlichen Stunde mit ihm. Aber er stellte meinen Wecker, der mich grausam und unbestechlich um 7:30 Uhr morgens aus dem Dämmerschlaf holte. Kurz darauf stand Richard, der kaum besser beisammen war als ich, vor meiner Tür und schaffte es, dass ich in einer Viertelstunde mit ihm unten beim Frühstück sa߅

Der Beginn einer wunderbaren Liebe, die durch einen Seitensprung Richards mit einer Kollegin  ein jähes wie schmerzvolles Ende für mich fand. Und doch – einmal habe ich ihn mehr als nur geliebt…

Nach einer wahren Begebenheit….

Vivienne

 

 

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