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25.08.2005, © Vivienne

Verliebt ins Leben

Sophia und ich blickten uns wissend an. Ein paar Meter vor uns stand Hella Reiniger, eine Kollegin, ins Gespräch mit unserem Chef vertieft. Beide lachten, wir verstanden nicht, worüber sie sprachen, aber der Blick, denn Hella unserem Boss zuwarf, schien Bände zu sprechen. Sie strahlte unseren gut aussehenden Vorgesetzten an mit ihren blauen Augen, als wäre sie ein achtzehnjähriges Mädel. „Die ist verliebt!“ schmunzelte Sophia. „Oder meinst du etwas anderes?“ Nein, daran konnte es keinen Zweifel geben, unsere nicht mehr ganz junge Mitstreiterin, geschieden, und mittlerweile auch schon einige Zeit im Unternehmen, war verschossen in unseren Chef. Schon seit Wochen war uns ihr glücklicher Gesichtsausdruck aufgefallen, vor allem, wenn sie gerade mit unserem „Galeerentreiber“, wie wir ihn immer spaßhaft nannten, gesprochen hatte.

Keine Frage, der Chef mochte sie sicher auch, aber der Chef mochte alle seine Mitarbeiterinnen in seinem Bereich, er war wohl so etwas wie ein „Womanizer“ wie die Amerikaner es formulieren. Ein Mann, der Frauen anzog wie ein Magnet Eisennägel, und er verstand es auch mit ihnen umzugehen. Er wusste, was Frauen gern hörten und wie er es zu bringen hatte. Andererseits war er aber auch seit Jahren verheiratet, hatte drei Kinder und gerade ein Eigenheim gekauft. Hella war wiederum eher eine unscheinbare Person, etwas zu dick und nicht besonders groß. Es war deshalb nicht anzunehmen, dass sich unser Boss auch in Hella verlieben konnte, im Grunde war es auch gar nicht ratsam. Schon wegen seiner Kinder…

Einerseits war es süß anzusehen, wie dieses Glück aus Hellas Gesicht lachte, aber irgendwann musste die liebe Kollegin aus ihrem Traum aufwachen. Und ziemlich hart fallen… Sollte ich mit ihr reden? Nein, ich konnte mir nicht vorstellen, dass das etwas bringen würde. Es ging mich nichts an, mehr als das: es hatte mich nichts anzugehen, da ich selber nicht betroffen war. Und trotzdem tat sie mir leid, sehr sogar. Nach ihrer unglücklichen Ehe – der Mann hatte sie geschlagen und ihr immer das ganze Geld weggenommen – hatte sie begonnen, wieder Fuß zu fassen im Leben. Sie hatte eine Psychotherapie gemacht und in unserer Firma einen Job angenommen. Und nach anfänglichen Schwierigkeiten ihre Sache sehr gut gemacht. 

Ich setzte mich nach der Arbeit in den Bus. Während ich mich dabei ertappte, wie ich wieder begann, Nägel zu kauen, fragte ich mich immer wieder, wie Hella reagieren würde, wenn sie begreifen würde, dass ihr Traumschloss zusammenbrechen musste. Ob sie wieder depressiv werden würde? Stärkere Medikamente benötigen würde? Vielleicht würde ihr auch der Job zu viel und sie warf ihn hin. Weil sie es nicht mehr ertragen konnte, weiter mit unserem Chef konfrontiert zu sein. Ihre heimliche Liebe, von der jeder in unserer Abteilung wusste und sich amüsierte darüber. Nein, natürlich nicht jeder, aber trotzdem. Unfeine Worte fallen in dem Zusammenhang immer hinter dem Rücken des Betroffenen, gleichgültig ob Mann oder Frau.

Und unser Vorgesetzter würde mit Sicherheit kein Wort darüber verlieren, auch wenn er genau wissen musste, was Hella für ihn empfand. Ich stieg aus dem Bus und steuerte den Supermarkt an. Wir, Ali und ich, benötigten dringend eine Flasche Apfelessig, und bei der Gelegenheit wollte ich auch ein paar Kleinigkeiten einkaufen. Weiter vorne, bei der Tiernahrung sah ich überraschend Hella stehen. Ich wusste gar nicht, dass sie eine Katze hatte. Sie packte gerade ein paar Dosen Whiskas in ihren Einkaufswagen und  steuerte, den Blick stur nach vorne gerichtet, an mir vorbei. „Hella!“ sprach ich sie an. „So eine Überraschung!“ Hella drehte sich um und lachte mich an. „Hallo! Auch beim Einkaufen?“ Ich nickte.

Schon merkwürdig, dass ich im Bus die ganze Zeit an sie denken hatte müssen. Und nun traf ich sie hier… „Wie geht’s dir?“ fragte ich oberflächlich und wollte mich im nächsten Augenblick schon deswegen verfluchen. Aber Hella stieg sofort darauf ein. „Gut, gut wie lange nicht. Schön langsam beginne ich zu vergessen, was mir alles passiert ist in meiner Ehe… Sieh her!“ Sie zeigte mir das Katzenfutter. „Ich habe mir letzte Woche ein Kätzchen geholt. Aus dem Tierheim. Es ist sehr hungrig!“ Jetzt oder nie! dachte ich mir. Nie wieder kannst du so ungestört mit ihr reden wie hier. „Das ist toll!“ antwortete ich. „Aber deine gute Laune hängt wohl auch mit dem Chef zusammen, oder?“ Hella lächelte amüsiert. „Ich weiß, was du meinst. So naiv bin ich nicht, dass ich nicht merken würde, was ein paar Leute hinter mir tratschen. Aber glaube mir, Vivienne, es ist nicht ganz so, wie ihr alle denkt…“

Sie blickte mich mit glänzenden Augen an. „Unser Boss ist ein toller Mann und er hat viel für mich getan. Er hat mich seinerzeit angestellt, obwohl ich eine Gehaltsexekution laufen hatte – Altlasten meines Ex. Er hat mir eine Chance gegeben weißt du, nach all dem Chaos und dem Leid, das ich erfahren hatte. Und dafür bin ich ihm sehr dankbar…“ Ich lauschte Hella leicht überrascht. „…ja, er sieht verdammt gut aus, und ehrlich, in der Abteilung sind wir wohl alle ein wenig verliebt in ihn, oder? Aber…“ Hella nickte mit Nachdruck. „… ich bin nicht so dumm, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft mit tieferen Gefühlen zu verwechseln. Zum Beispiel mit Liebe. Nein, Vivienne, da irrt ihr alle. Ich bin nicht verliebt, nur dankbar und sehr glücklich, dass ich das Schöne hier erfahren darf, nach all diesen bitteren Jahren…“

Vivienne

 

 

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