Das Date mit Udo Jürgens

Meine Kollegin Mitzi saß mir in der Küche ihrer Wohnung gegenüber. Sie hatte uns beiden eine Melange gemacht, beide rauchten wir eine Zigarette und der blaue Dunst hüllte uns ein, als Mitzi aus ihrer Teenagerzeit zu erzählen begann. Mitzi war eine sehr attraktive Frau Anfang Fünfzig, mit endlos langen Beinen und einer Figur, um die ich sie beneidete. Eben zupfte sie wieder das Miniröckchen zurecht, das sie trug und das ihre wohlgeformten Oberschenkel nur recht unzulänglich bedeckte. Mitzi war mit Fug und Recht ein scharfer Hase, wie man so umgangssprachlich zu sagen pflegte, trotz ihres Alters, trotz zweier erwachsener Kinder und eines Enkelkindes, das sie über alles liebte. Keine Anzeichen von Krampfadern, kein Bauch und ihr Hintern stand dem eines jungen Mädchens um nichts nach….

„Ich war vier Jahre in diesem Internat in Wien untergebracht…“ Mitzi war, während sie mir erzählte, wieder der pausbäckige Teenager geworden, der sich in seiner Schulzeit nichts traute und normalerweise eher ein wenig im Hintergrund stand. Farblos und außerdem durchaus sehr folgsam und angepasst – wäre da nicht ihre Leidenschaft für Udo Jürgens, den Verruchten, gewesen, der nach dem Songcontest-Sieg eine sagenhafte Karriere in ganz Europa hingelegt hatte. „Das Konzert war uns Mädchen verboten worden, die Burschen durften allerdings hingehen.“ In Mitzis Augen blitze noch immer leise die Empörung über diese unfassbare Ungerechtigkeit. „Dabei hatte ich von einem Burschen, Hans hieß er, der mich verehrte, sogar eine Karte für das Konzert bekommen. Am Abend vor dem Konzert bitzelte ich die halbe Nacht in meinem Zimmer, weil ich diese Verfügung so ungerecht und gemein fand.“

Mitzi seufzte und tauchte mich in eine dickte Rauchwolke. „Ich verehrte ihn ja so und wenn er schon in der Stadthalle spielen sollte – was war so vermessen daran, dass ich auf das Konzert gehen wollte?“ Ich weinte mich in den Schlaf, doch am Morgen fand ich einen Zettel am Boden. Er war unter der Tür durchgeschoben worden, und Hans hatte ihn geschrieben. Ich helfe dir! stand drauf, und nach dem Mittagessen passte mich Hans ab. Er hatte ein Seil organisiert, mit dem er mich über einen alten Nussbaum abseilen wollte und außerdem half er mir, mein Bett am Abend so herzurichten, als würde ich im Bett liegen. So würde niemand Verdacht schöpfen können. Ich war ganz fertig vor Nervosität, zog mein schönstes Kleid an und meine Füße steckten in den neuen hochhackigen Pumps. Ich wagte es sogar mich zu schminken – für meinen Udo wollte ich die Schönste sein. „

Mitzis Augen leuchteten, sie stand ganz im Banne ihrer Erzählung. „Hans schaffte es tatsächlich mich abzuseilen, aber weil es zu regnen begonnen hatte wurde ich dabei völlig nass und die Absätze meiner Pumps brachen. Hans warf die Schuhe kurzerhand weg und so war ich barfuß, als wir mit der Straßenbahn in Richtung Stadthalle losfuhren. Ich war in einem schlimmen Zustand, ich fror und ich fühlte mich so lächerlich, denn immerhin waren deutlich Grasflecken auf meinem Kleid auszumachen. Aber Hans beruhigte mich, er redete und redete und als wir endlich in der Stadthalle standen, fiel mein merkwürdiger Aufzug auch niemandem auf. Und ich hatte ohnedies nur Augen für einen – Udo!“

Ich beobachtete meine Kollegin interessiert. Es war faszinierend, wie sie sich in Worten und Gestik wieder in ein junges Mädchen verwandelte. Dabei war ihr Enkel sieben Jahre alt und der ganze Stolz seiner kessen Oma… Mitzis Stimme holte mich wieder zu der Geschichte zurück. „…ich werde das Konzert nie vergessen. Es war einzigartig. Aber das sollte nicht alles bleiben, das ich an diesem Abend erlebte. Zufällig stand ich mit Hans nach dem Konzert noch vor der Stadthalle, wir knutschten, schließlich wollte ich mich für das unvergessliche Erlebnis bedanken, als ein Taxi vorfuhr. Der Fahrer stieg aus und Udo kam aus einem Seitenausgang der Stadthalle heraus. Mir klopfte das Herz bis zum Hals, ich sah Hans kurz an, dann rannte ich zu Udo…“

Mit offenem Mund registrierte ich die unerwartete Wendung der Story. Mitzi fuchtelte mit den Händen herum, während sie mir beschrieb, wie Udo mit ihr sprach. Und schließlich auf ihre Arme ein Autogramm gab… „Ich hatte ja nichts zu schreiben mit!“ Mitzi schmunzelte über das ganze Gesicht. „Ein unglaublicher Moment, dann nickte mir Udo noch lächelnd zu, mir, die ich barfuß und in einem schmutzigen Kleid dastand, und dann stieg er in das Taxi ein…“ Welch eine Sensation, ich konnte die Gefühle von Mitzi gut nachvollziehen. Während meine Kollegin noch zusammenfasste, wie sie wieder in ihr Zimmer im Internat gekommen war, nämlich noch nässer und noch schmutziger, wurde mir bewusst, was Mitzis Jugendlichkeit wirklich ausmachte. Nicht ihre sexy Beine und nicht die kurzen Röcke sondern ihr umwerfender Charme!

Für Traudi!

© Vivienne

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