Der Hundeschreck

Mein Stocki ist schon ein Bild von einem Kater und dazu ein exzellenter Jäger, der schon Fasane, Rebhühner oder Hasen erjagt und verzehrt hat. Was ist im Vergleich dazu schon eine Maus? Trotzdem kann er ein rechter Schmusekater sein, und im Sommer liegt er gern in der Sonne und lässt es sich gut gehen. Das hat für ihn den großem Vorteil, dass er alles ringsum im Blickfeld hat: die Straße, die Felder, die Nachbarhäuser oder auch Minki, seine Mutter, die ja – wie ich schon ein paar Mal erzählte – gern Angriffe auf ihn startet. Aus Eifersucht. Stocki hat da ein paar Lieblingsplätze: entweder macht er es sich im Garten bequem, mitten unter hohen Blumen (womit er meine Mutter regelmäßig zu Schweißausbrüchen treibt!) oder auch vor dem Haus, am besten unter dem Flieder. Da begrüßt er jeden, der näher kommt, gleich mit einem freundlichen Miauen und erwartet, gestreichelt zu werden.

In der Nachbarschaft von uns wohnt eine nicht mehr ganz junge Tierfreundin, Frau Zeilinger, die neben zwei Katzen auch zwei Pekinesen versorgt. Oft habe ich sie gesehen, wie sie mit den beiden Hunden, einem Männchen und einem Weibchen, entweder die Straße hinauf oder hinunter spaziert, damit ihre beiden Lieblinge zu dem nötigen Auslauf kommen. Frau Zeilinger ist geschieden und die Tochter ist schon lange ausgezogen, deshalb hat sie auch viel Zeit und Muße für ihre Lieblinge. Den Ausdruck „Lieblinge“ möchte ich hier gerade in Bezug auf die beiden Hunde eher relativ gebrauchen: die Pekinesen sind hochneurotisch und oft aggressiv, als wollten sie mit ihrem angrifflustigen Verhalten die eigene Körpergröße kompensieren. Ich mag Hunde sehr gerne, aber ich bevorzuge die großen, die meiner persönlichen Erfahrung nach nie so rabiat werden und ruhiger sind. Zumindest die, die ich selber kenne.

Vor einigen Jahren im Sommer hatte einer der beiden Pekinesen, das Weibchen, eine Begegnung der „dritten“ Art mit meinem Kater, die er wohl sein ganzes Leben lang nie vergessen wird. Um Ihnen die Situation zu vergegenwärtigen: ein heißer Sommertag klang schön langsam aus, mein Stocki hatte es sich in seiner ganzen Größe unter dem Flieder bequem gemacht und döste in der Sonne. Ich selber war vor der Haustür und goss meine Kübelpflanzen, die ziemlich trocken waren. Aus den Augenwinkeln konnte ich beobachten, dass Frau Zeilinger wieder mit ihren beiden Hunden unterwegs war und gerade mit unserem Nachbarn tratschte. Ich dachte bei mir, dass Frau Zeilinger wohl mit ihrem Ausgang gewartet hatte, bis die ärgste Hitze vorüber war. Sie selber ist ja auch nicht mehr die Jüngste. Die Hunde hatte sie an der Leine und die beschnupperten jeden Strauch und jede Person, die auf der Straße unterwegs war. Wie es halt Hunde so tun.

Mit einem Mal bellte der kleinere der beiden Pekinesen auf. Dem Weibchen war das „Duftwasser“ von Stocki in die Nase gestiegen – Hunde und Katzen, das ist genau wie Rapid Wien gegen Wiener Austria im Fußball. Eine alte, gegenseitige Feindschaft eben, die tief in beiden Tierarten verwurzelt ist. Die Hündin riss sich von ihrer Herrin los und stürmte auf Stocki zu, der nichts ahnend unter dem Flieder lag. Ihr schrilles, aggressives Bellen riss mich aus den Gedanken. Bevor ich aber irgendetwas machen konnte, stand sie schon direkt vor dem roten Kater und konnte sich nicht beruhigen. Mein Gott, dachte ich bei mir. Stocki war damals noch sehr jung und unerfahren, und so gutmütig. Würde ihn dieser dämliche, kleine Hund beißen und verletzen?

Ich hatte Stocki aber unterschätzt. Binnen weniger Sekunden war der nämlich auf den Beinen und hatte die Situation im Griff. Er machte einen gewaltigen Katzenbuckel, fauchte wie ein Berglöwe und schlug mit seiner Pranke (kann mal wohl bei seiner Größe durchaus sagen) auf die empfindliche Nase der kleinen Pekinesin ein. Die blickte einen Moment lang völlig perplex, dann begann sie lautstark zu heulen und rannte ganz flink auf ihren dünnen Beinen zu Frau Zeilinger zurück. Die hatte sich gerade um den Hund umgesehen, weil sie die Leine vermisst hatte. Ich konnte mir das Lachen kaum verbeißen, während ich diese Szene beobachtete. Was für ein Kater, schoss es mir, der sogar Hunde verjagt. Auch wenn es „nur“ ein Pekinese ist – Hund ist Hund. Der Anfang ist gemacht, und das nächste Mal ist es ein Pudel. Inzwischen tröstete Frau Zeilinger die kleine Hündin und beruhigte sie, die noch immer jaulte. Sie, Frau Zeilinger, warf dem Kater einen unfreundlichen Blick zu. Dann nahm sie beide Leinen und ging auffallend schnell, an unserem Haus vorbei, die Straße hinunter.

Stocki legte sich, nachdem die Hunde außer Sichtweite waren, ganz gemächlich wieder auf seinen Platz und schloss die Augen um weiter in der Sonne zu dösen. Nicht im Geringsten war ihm anzumerken, dass er sich gerade gegen den Angriff eines Hundes zur Wehr gesetzt hatte. Was meine damaligen Hoffnungen betraf, Stocki könnte ein richtiger Hundeschreck werden, der Hunde aller Größen und Sorten in ihre Schranken verweisen würde, haben sich die natürlich nicht erfüllt. Die Größe der Pekinesenhündin hatte vermutlich den Ausschlag gegeben, dass es Stocki gereizt hatte, ihre Attacke zurückzuweisen. Bei allem was größer ist, ergreift Stocki so weise wie flink natürlich die Flucht. Aber die beiden Pekinesen machen trotzdem seit dem Vorfall einen riesengroßen Bogen um unseren Kater. Sicher ist sicher, und eine Hundenase ist halt sehr empfindlich.

Vivienne

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