Ich hasse Hornissen. Mögen Insektenforscher noch so oft behaupten, dass sich Hornissen normalerweise nicht aggressiv verhalten und außerdem überaus nützliche Tiere sind: für mich ist nur eine tote Hornisse eine gute Hornisse und an dieser Meinung wird sich nichts mehr ändern. Allein wenn ich mir diese dicken, großen bräunlich-gelben Riesenwespen vorstelle, dann wird mir kalt und auf meinem Rücken stellen sich alle Härchen auf. Nein, Hornissen sind für mich verzichtbar, denn ich trage ein Trauma mit mir herum, ein Trauma aus vergangener Zeit, dass mich für den Rest meines Lebens geprägt hat. Hornissen sind ein Albtraum für mich!
Ich erinnere mich noch sehr gut an dieses Essen bei der lieben Verwandtschaft zu einer Gelegenheit, als die Familie noch ziemlich vollzählig erschienen war. Die Tante und ihr Mann hatten Köstliches aufgetischt und schließen hatten wir auf der Terrasse Platz genommen und bei strahlendem Sonnenschein wurden uns Sachertorte und Kaffee vorgesetzt. Ehrlich gesagt: ich war wunschlos glücklich, ich liebe Sachertorte und einen Kaffee ließ ich mir schon damals gerne schmecken, zumindest ab und an. Was ich aber bzw. die ganze Familie nicht ahnte war, dass die Nachbarn der lieben Verwandtschaft ein Hornissennest beim Kaninchenstall hatten und die genusssüchtigen Tiere längst gewittert hatten, dass wir im Süßen schwelgten.
Ich merkte natürlich zunächst auch nichts davon, dass die Tiere schon den Angriff auf unser Kuchenbuffet planten. Ein Surren erfüllte die Luft und ich hörte noch meine Mutter, wie sie sich äußerte: „Das sah doch aus wie eine Wespe. Wo ist die denn hingeflogen?“ Dann spürte ich im Rücken etwas auf meiner Bluse und meine Schwester Bea platzte los. „Da sitzt ja eine Hornisse auf Vivis Rücken!“ Ich weiß noch, dass ich erstarrte, fast wie zur Salzsäule, und fühlte jeden Schritt der Hornisse, während mir der Schweiß aus allen Poren drang. Mein Bruder Claudio war im Vorjahr von einer Hornisse in die Hand gestochen worden, als er beim Tennisspielen nach dem verschossenen Ball gesucht hatte. Der Schmerz, so hatte er berichtet, musste furchtbar gewesen sein und die Hand war fast zwei Wochen furchtbar verunstaltet und geschwollen gewesen…
Die Zeit schien für mich fast still zu stehen. Ich war nur mehr Angst und wagte es nicht mehr mich zu bewegen, aus Furcht, das Monster könnte sich provoziert fühlen und mich stechen… Plötzlich merkte ich, dass mein Bruder Claudio, der neben mir gesessen war, langsam aufstand und fast amüsiert etwas murmelte. „Da ist ja wirklich eine Hornisse! Na, der geb’ ich Gas!“ Bea schrie auf, dann spürte ich einen Stoß im Rücken und als ich mich verschreckt umdrehte, sah ich die Hornisse, übrigens wirklich ein gewaltiges Tier, etwas benommen durch die Luft taumeln. Claudio hatte sie tatsächlich mit der bloßen Hand und unerschrocken von ihrer Position auf meinem Rücken weg geschlagen. Ich fragte mich völlig verwirrt, wie man sich nur so etwas trauen konnte und womöglich würde die Hornisse jetzt erst wirklich aggressiv werden und beginnen, jeden hier zu stechen… Drei Hornissenstiche wären tödlich, fiel mir in diesem Moment wieder ein, nur drei schon!
Aber Claudio schien nicht einen Funken von Angst zu verspüren. Während ich mich kaum zu atmen traute, zog er seelenruhig seinen Schuh aus und schlug nach der Hornisse. Gekonnt beförderte er sie auf den Boden, wo sie ein weiterer Hieb Claudios das Leben kostete. Flach gedrückt lag sie nun da und rührte sich nicht mehr. Ich konnte meine Starre auf einmal wieder lockern und begriff nur langsam, dass dieses Monster von einem Insekt wirklich tot war. Wenn ich ehrlich war: Claudios Rettungsaktion hatte nur wenige Sekunden in Anspruch genommen, auch wenn es mir so vorgekommen war, als wäre ein längerer Zeitraum vergangen. Ich blickte noch immer gebannt auf die Riesenwespe, während Claudio sich schon von der Familie feiern ließ. Mein Onkel trat heran und schüttelte den Kopf.
„Was du dich traust!“ wandte er sich an Claudio. „Du bist ein echter Hornissentöter. Und Nerven hast du wie aus Drahtseil! Sieh dir nur deine große Schwester an!“ Der Onkel deutete auf mich. „Sie ist wie vom Donner gerührt. Du hast sie aus höchster Not befreit!“ Claudio verbeugte sich spöttisch vor mir und setzte sich dann wieder zu mir. Völlig ruhig griff er zum Glas um ein wenig Limonade zu trinken und mir fiel auf, dass er völlig ungerührt war. Während ich fast Todesangst ausgestanden hatte, spielte er nicht nur den Lässigen, er war wirklich völlig cool. Aber richtig: mein kleiner Bruder hatte schon als Bub gerne Hummeln, Wespen und Ähnliches gefangen und in Gläser gesperrt, mit denen er uns Schwestern erschreckte. Claudio war zweifellos ein Vollprofi auf dem Gebiet… Nur ich pflegte meine Hornissenangst danach noch intensiver denn je!
© Vivienne