Das Mädchen war dick.
Keine schlanken Beine und Hüften.
Keine ebenmäßigen Formen.
Das Mädchen war dick.
Manche hätten es als fett bezeichnet.
Fett und ungustiös.
Wie kann man sich nur so gehen lassen?
Schrecklich.
So ein Anblick tut in den Augen weh!
Einige Leute hätten das gedacht.
Oder auch laut ausgesprochen.
Mit Empörung.
Der Empörung des Anspruchs auf absolute Schönheit.
Auf makellose Haut.
Ohne Zellulitis.
Das Mädchen wusste das.
Es kannte die verletzenden Reden gut.
Manchmal machte ihm das alles nichts aus.
Bisweilen war es ihm sogar völlig gleichgültig.
Es war guter Dinge und freute sich seines Daseins.
Pflückte Blumen auf der Wiese des Lebens.
Eine nach der anderen.
Und genoss deren Schönheit ohne Anspruch…
An einem Tag lief das Mädchen an den See.
Es war heiß.
Die Sonne zeigte sich von ihrer unbarmherzigen Seite.
Das Mädchen setzte sich am See nieder.
Ließ die Beine im kalten Wasser baumeln.
Und das kühle Nass ließ sie wohlig erschauern.
Wie wäre es…?
Der Gedanke stieg unvermittelt indem Mädchen auf.
Ein kühles Bad nehmen…?
Sich erfrischen…?
Das Mädchen überlegte nicht lange.
Es begann sich auszuziehen.
Minuten später stand es nackt am Ufer.
Setzte langsam Schritt um Schritt in den See.
Schließlich stand ihm das Wasser bis an die Knie.
Unversehens konnte das Mädchen sein Spiegelbild im Wasser erkennen.
Und was es sah, erschreckte es.
Mein Gott!
Bin ich wirklich so fett?
Ich sehe furchtbar aus!
Ich sehe furchtbar aus!
Dieser Satz klang noch lange im Kopf des Mädchens nach.
Lange nach dem es fast panisch ans Ufer zurückgelaufen war.
Ohne zu baden.
Es hatte sich sofort wieder angezogen.
Und sich unter einen Baum gesetzt.
Wo es zu weinen begonnen hatte.
Ich bin hässlich!
Ich bin so hässlich!
Wie soll mich jemand lieb haben, wenn ich so hässlich bin?
Das Mädchen konnte sich kaum mehr beruhigen.
Erst eine Stimme ließ es aufhorchen.
Was ist los mit dir?
Eine Frau mir langem, hellen Haar hatte mit dem Mädchen zu sprechen begonnen.
Das Mädchen blickte auf.
Sein Gesicht war verschwollen und rot.
Es konnte nicht gleich antworten, weil es so schluchzte.
Aber nach und nach brachte die Frau ans Licht, was dem Mädchen so wehgetan hatte.
Du meinst, du bist hässlich?
Das Mädchen nickte heftig.
Ja, ich bin hässlich.
Sieh dir nur an, wie fett ich bin!
Die Frau mit den langen Haaren hob die Augenbrauen.
Aha.
Und wer sagt, dass das hässlich ist?
Einen Moment schwieg das Mädchen.
Sein ganzes Leben hatte es gehört, dass dicke Menschen hässlich wären.
Aber ist das wirklich so?
Die Frau bohrte weiter.
Ist es so?
Oder sagen das nur Leute, die nichts verstehen?
Die andere Menschen mit dem Maßband abmessen.
Und sich besonders klug vorkommen, wenn sie erklären.
Du bist hässlich.
Und du bist schön.
Die Frau trat ganz nah an das Mädchen heran.
Ich sage dir eines.
Du bist schön.
Du bist wunderschön.
Ich sehe das Leben und die Freude in deinen Augen leuchten.
Auch jetzt, wo du gerade geweint hast.
Ich spüre die Wärme in deinem Blick.
Wenn du hier sitzt.
Mitten in der Natur.
Umgeben von wunderschönen Blumen.
Und du bist eine von ihnen.
Wer könnte es bestimmen?
Du bist eine schöne Blume?
Und du bist keine schöne Blume?
Ich sage dir.
Alle sind schön.
Auf ihre Weise einzigartig.
Voller Erhabenheit und Stolz.
Bewahre dir all das, mein Kind.
Bewahre es dir im Herzen.
Dort ist die Wahrheit daheim.
Dort und sonst nirgends.
Lass dir nichts einreden!
Hör nicht auf andere.
Du bist schön.
© Vivienne