Die Selbstverantwortung des Patienten – Ansichtssache

Anfang des Jahres 2008 musste ich eine fortschreitende Sehschwäche feststellen und vereinbarte einen Termin bei einem Augenfacharzt. Dieser erkannte rasch die wahre Ursache und überwies mich für weitere Untersuchungen in ein Wiener Krankenhaus, wo letztlich ein atypisches Meningeom (WHO Grad II) mit einer Raumforderung von 8x3x5 cm diagnostiziert wurde. Der Hirntumor ummantelt die Sehnervenkreuzung und hatte dadurch die massive Fehlsichtigkeit verursacht. Die zum selben Zeitpunkt aufgetretenen Kopfschmerzen und neurologische Auffälligkeiten hatte ich anfänglich verdrängt.

Es folgten im Frühjahr und Herbst 2008 zwei chirurgische Eingriffe, bei denen das Meningeom zu einem großen Teil entfernt werden konnte. Ich habe die Operationen gut überstanden und war jeweils wenige Wochen nach der Entlassung aus dem Krankenhaus – ohne Rehablitation oder Wiedereingliederungshilfe – wieder im Job aktiv. Eine vollständige Entfernung des Tumors ist aufgrund der exponierten Lage definitiv nicht möglich, weswegen ich auf Anraten meines behandelnden Neurochirurgen im November 2008 an der strahlentherapeutischen Abteilung vorstellig wurde. Das Gespräch mit der Fachärztin mag unter keinem „guten Stern“ gestanden haben – letztlich fiel ich nach Aussagen über mögliche Spätfolgen der Bestrahlung, wie irreversible Erblindung oder kognitive Beeinträchtigung, in ein tiefes Loch. Auf meine Nachfrage zur Wahrscheinlichkeit dieser Begleiterscheinungen oder möglicher Alternativen erhielt ich keine befriedigende Antwort.

Ich hatte zwei Wochen Zeit mich für oder gegen die angeratene Therapieform zu entscheiden. In diesen Tagen wurde ich durch selbst angestellte Recherchen auf die stereotaktische Radiochirurgie aufmerksam. Die Fachärzte des Landesklinikum versicherten mir, dass bei einer Gamma Knife Therapie kaum die Gefahr derartiger Langzeitschäden bestünde. Der Erstkontakt verlief sehr nett und ich unterzog mich dann noch im Dezember 2008 zwei stereotaktischen Bestrahlungen in der Steiermark. Mein behandelnder Neurochirurg in Wien wurde selbstverständlich über die von mir getroffene Entscheidung informiert.

Ich weiß nicht ob ihr euch vorstellen könnt welches Gefühl einem überkommen kann, wenn man einem Facharzt mitteilen muss, daß man sich für ein anderes Krankenhaus entschieden hätte Es gab bei unserem letzten Zusammentreffen keinen großen Wortwechsel und ich kann bis heute nicht sagen, wie der Neurochirurg – der mich zweimal exzellent operiert hatte und dem ich vieles zu verdanken habe – meine Entscheidung interpretiert hat.

Bei den regelmäßigen Kontrolluntersuchungen zeigte sich Ende 2010 das erste Rezidiv. Die Fachärzte stellten mich vor die Wahl eines chirurgischen Eingriffes oder einer weiteren Gamma Knife Behandlung, wobei man mich wissen ließ das die OP präferieren werden würde. Ich entschied mich nach einem ausführlichen Arztgespräch dennoch für Gamma Knife. Aus Sicht des Patienten ist diese Therapieform weitaus weniger strapaziös als eine Schädeloperation – als Frage blieb für mich aber vorerst im Raum stehen, ob diese von mir wohl aus einem Bauchgefühl getroffene Entscheidung auch langfristig gesehen gut und richtig war.

Nachdem ich mich einer dritten Gamma Knife Therapie unterzogen hatte war ich – abgesehen von fallweisen Konzentrationsstörungen und Kopfschmerzen – vorerst weitgehend beschwerdefrei. Bei aller Wertschätzung für die Gesprächsbasis mit den Ärzten im Landesklnikum wollte ich nun doch eine weitere Expertise einholen um eine Bestätigung zu erhalten, daß der von mir selbst eingeschlagene Weg zumindest nicht allzu unvernünftig sei.

Das Gespräch mit dem Neurologen fand im Februar 2011 in dessen Wiener Ordination statt und ich bin froh diesen Schritt gesetzt zu haben. Es wurden mir nochmals die medizinischen Hintergründe zum Themengebiet der Strahlentherapien ausführlich erläutert. Dass verschiedene Ärzte aber unterschiedliche Therapieformen präferieren können wurde mir von dem als Kapazität auf dem Gebiet der Neurologie geltenden Mediziner uneingeschränkt bestätigt. Auch meine erst vor wenigen Monaten getroffenen Entscheidung gegen eine neuerliche OP beurteilte der Arzt keineswegs so kritisch wie ich sie selbst vielleicht gesehen hatte. Letztlich verwies er darauf, daß man anhand der nächsten MRT Befunde den weiteren Behandlungsverlauf beurteilen müsse.

Ich kann heute gut damit leben, dass ich 2008 und 2010 selbst in meinen therapeutischen Verlauf eingegriffen habe. So etwas sagt sich im nachhinein relativ leicht – denn zweifellos hätte es mir besser gefallen, wenn mir die Phase der Entscheidungsfindung Ende 2008 erspart geblieben wäre. Es sollte uns bewußt sein, daß das Einholen einer Zweitmeinung kein Mißtrauensvotum gegenüber dem behandelnden Facharzt darstellt. Es gibt in der Medizin unterschiedliche Sichtweisen zu den Therapieformen – die letzte Entscheidung liegt aber dennoch beim Patienten. Eine vertrauensvolle Basis zwischen Arzt und Patient ist schlichtweg unverzichbar.

Pedro


Weitere Infos zu meinem Krankheitsverlauf findet ihr unter …

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