Die Täuschung

Margit tippte den Bericht ab.
Druckte ihn aus.
Durchsuchte ihn auf Fehler…
Ein kurzer Blick auf die Uhr.
Gleich 16:00 Uhr.
Zeit, dass sie fertig wurde.
Ein Kollege legte ihr ein Fax auf den Schreibtisch.
Margit las prüfend…
Legte das Blatt zur Seite.
Gut, das hatte bis morgen Zeit.
Das Telefon läutete.
Gitta.
Mein Gott, Margit.
Ich verstehe nicht, dass du so ruhig bist.
Der Kerl hat dich angeschmiert.
Und jetzt rennt er mit dieser Brünetten rum.
Wie heißt sie?
Sylvia.
Als wäre nie etwas gewesen.
Zwischen dir und ihm.
Und du sagst einfach nichts???
Margits Augen funkelten aufgebracht.
Gedanken wie Blitze.
Dumme Ziege.
Lass mich doch in Ruh!
Margit ballte die linke Hand.
Betont ruhig fertigte sie die Freundin ab.
Ich weiß nicht, was du hast.
Es war ja auch nie etwas.
Nur das, was ihr reininterpretiert habt…
Ich muss noch arbeiten!
Bis später!

Margit legte wütend auf.
Sie bohrte ihre roten Fingernägel ins Fleisch.
Um sich zu beruhigen.
Um den tiefen Schmerz zu betäuben.
Der seit drei Wochen in ihrem Inneren tobte.
Es stimmte schon.
Es war nie etwas gewesen.
Zwischen ihr und Harald.
Niemals.
Aber das hatte eben nur Harald selber gewusst.
Sie, Margit, war auch auf ihn hereingefallen.
Die ganze Zeit…
Margit holte sich ein Glas Wasser.
Trank es in einem Zug aus.
Am liebsten wäre sie davon gelaufen.
Weg aus der Firma.
Weg vor allem von ihren Freunden.
Die sie hineingeritten hatten.
In diese vertrackte Situation.
Mit ihrem Gerede.
Mit ihren Versicherungen.
Du, da wird sich bald was ergeben zwischen euch!
Wie er dich nur ansieht!
Ganz verliebt!
Der will was von dir.
Ganz sicher.
Und er geht es behutsam an.
Das heißt, er will dich nicht überfahren.
Und Harald sieht so gut aus.
Ich freue mich ja so für dich.

So oder so ähnlich.
So hatten die Sprüche der anderen geklungen.
Margit schaltete den PC aus.
Räumte den Schreibtisch zusammen.
Grüßte die wenigen Kollegen, die noch da waren.
Betont freundlich.
Also dann schönen Abend noch!
Bis morgen.
Sie ging aus dem Gebäude.
Mit leichtem, lockerem Schritt.
Sie wirkte selbstbewusst und zufrieden.
Erst im Auto sackte sie zusammen.
Margit begann zu weinen.
Minuten schluchzte sie haltlos.
Dann tupfte sie ihr Gesicht trocken.
Startete den Motor.
Und fuhr vom Firmenparkplatz weg.
Ein bitteres Lächeln umspielte ihre Lippen.
Harald war ein Mistkerl.
Daran gab es keinen Zweifel.
Er hatte sie benutzt.
Eiskalt.
Auch wenn er es bestritt.
Und alles als pures Missverständnis hinstellen wollte.
Wie neulich an dem Abend beim Italiener…

Margit war nach dem Essen mit den Freunden aufgestanden.
Und plötzlich hatte sie Haralds Stimme hinter sich gehört.
Freundlich und liebevoll wie immer.
Gut schaust du wieder aus.
Ich glaube, du wirst immer jünger…
Margit war kurz zusammengezuckt.
Ob dieser Unverfrorenheit.
Dann hatte sie ihn angegrinst.
Mit einem Seitenblick auf Sylvia.
Brünett.
Und frisch geschieden.
Die neue Frau in seinem Leben.
Du meinst mich?
Harald, du meinst wirklich mich?
Erstaunlich!
Wirklich erstaunlich.
Dass du mich noch kennst.
Wo du mich doch nicht mehr brauchst.
Um deine Affäre zu bemänteln…
Harald hatte den Fassungslosen gespielt.
Stotternd.
Und mit hochrotem Gesicht.
Aber Margit war einfach an ihrem Tisch zurückgegangen.
Sie hätte ihn nicht mehr länger ertragen.

Margit sperrte die Wohnung auf.
Marschierte in die Küche.
Und trank ein Glas Wasser.
Und noch eines.
Sie hatte sich linken lassen von Harald.
Harald.
41 Jahre alt.
Mittelgroß.
Hellbraunes Haar.
Und mit Augen wie George Clooney…
Vor einem halben Jahr hatte er begonnen sich um sie zu bemühen.
Ganz augenscheinlich.
Margit fuhr sich durch die blonden Locken.
Warum auch nicht.
Sie kannten sich schon ein paar Jahre.
Und waren beide schon einige Zeit allein gewesen.
Zu dem Zeitpunkt.
Und die gemeinsamen Freunde witterten sofort die große Liebe.
Bleib am Ball!
Und jetzt nicht lockerlassen.
Wenn sie ehrlich war.
Irgendetwas hatte sie immer gestört.
Am Verhalten von Harald.
Er war wirklich lieb zu ihr gewesen.
Hatte sie immer eingeladen.
Verstohlene Zärtlichkeiten.
Wunderschöne Komplimente.
Aber auch eine gewisse Distanz.
Seine Küsse hatten kein Feuer.
Sie wirkten kalt auf sie.
Unsicher ist er!
Das redeten ihr die anderen ein.
Bis sie es selber glaubte.
Trotz ihres Misstrauens.
Und obwohl sie sich immer wieder fragte.
Warum er sie zwar regelmäßig heimbrachte.
Aber keine Anstalten machte, mit in ihre Wohnung zu kommen.
Nicht ein einziges Mal.

Margit stellte das Wasserglas hin.
Sie hatte sich verliebt.
Wider besseren Wissens.
Wider des warnenden Gefühls.
Das sie bisweilen befallen hatte.
Und sie hatte zu träumen begonnen.
Vor drei Wochen kam schließlich die Wahrheit heraus.
Harald wollte gar nicht sie, Margit.
Harald war in Sylvia verliebt.
Die Brünette.
Die in Scheidung gelebt hatte.
Und deren Ex ihr einen Privatdetektiv auf den Hals gehetzt hatte.
Wegen des Sorgerechts für den gemeinsamen Sohn.
Harald hatte schnell reagiert.
Und eine falsche Fährte gelegt.
Um seiner Sylvia keine Probleme zu machen.
Als potentieller Scheidungsgrund.
Die Fährte war sie, Margit, gewesen.
Nicht nur die gemeinsamen Freunde wurden getäuscht.
Auch der Privatdetektiv.
Die Scheidung war vor drei Wochen durchgegangen.
Und Haralds Freundin behielt das Sorgerecht…

Margit schleuderte das Glas zu Boden.
Tränen trübten ihren Blick.
Legten einen Schleier auf die Augen.
Undurchdringlich…
Harald war ein Mistkerl.
Aber die Schuld für ihre verletzten Gefühle traf sie selber am meisten.
Dass er sie so narren hatten können.
Dass sie so viel hineininterpretiert hatte.
Dafür durfte sie nur sich selbst verantwortlich machen.
Es hatte genügend Warnsignale gegeben.
Unübersehbar.
Aber das Reden der anderen.
Und ihre eigene Sehnsucht nach Liebe…
Sie hatte Harald das Tor in ihr Innerstes geöffnet.
Um ihn einzulassen.
Aber Harald hatte einfach die Tür zugeschlagen.
Nachdem er sie, Margit, nicht mehr gebraucht hatte.
Und damit musste sie nun leben…

Vivienne

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