Frau Kammerer und diese böse Welt…

Frau Kammerer, eine Nachbarin meiner Schwiegereltern in deren Wohnung in Linz, ist keine unattraktive Frau. Ganz im Gegenteil. Für gut Mitte Vierzig sieht sie mit ihren barocken Formen sehr gepflegt aus. Jeans, etwa wie ich, würde die Frau Kammerer nie tragen, sie gefällt sich in eleganten Kostümen und Ensembles. Ihre Fingernägel sind zwar nur blassrosa lackiert aber perfekt manikürt und grundsätzlich hinterlässt Frau Kammerer auf dem ersten Blick meist eine positiven Eindruck… Ich sage bewusst auf dem ersten Blick, denn Frau Kammerer ist eine Prophetin der neuen Zeit und möchte ihre Mitmenschen gerne warnen – vor dieser schlechten, verderbten Welt…

Das klingt etwas grotesk, liebe Leser, und in der Tat muss man Frau Kammerer näher kennen, um ihre durchaus krausen Gedankengänge und Ideen nachvollziehen zu können. Albert, mein Mann, erzählte mir schon vor einiger Zeit, dass Frau Kammerer ein „typisches Scheidungsopfer“ war (wie sie es selbst darstellte) und danach auf den vielschichtigen Pfaden des Selbstmitleids begonnen hatte, ihren Ex im Gegenzug dafür auszunehmen. Schließlich musste er bestraft werden, weil er sie im Stich gelassen hatte wegen einer jüngeren Frau… „Frau Kammerer hat einmal das Gerücht in Umlauf gebracht, dass ihr Mann in den Ferien keine Alimente zahlen wollte“, berichtete mir Ali einmal. „…und zwar mit der Begründung, dass er das Jahr über ohnedies genug berappen müsste. Auf dem ersten Blick klingt das natürlich schlimm und sehr egoistisch, aber Frau Kammerer hat dem armen Kerl echt ausbluten lassen…“

Ich hatte interessiert gelauscht. „Wie denn?“ Ali lachte. „Über die Ausbildung der gemeinsamen Kinder. Jeder Schikurs, jeder Schullandwoche, etc. musste Herr Kammerer finanzieren. Dazu hat Frau Kammerer ihre Kinder auf alle erdenklichen Schulen und dann noch studieren geschickt. Dass sie ihnen damit etwas wirklich Gutes damit getan hat, würde ich nicht unbedingt unterschreiben. Ich an der Stelle der beiden Söhne würde lieber schon eigenes Geld verdienen und das habe ich in deren Alter auch…“ Ich versuchte mir das zu vergegenwärtigen. Würde ich das wollen? Da musste ich Ali recht geben – immer an Papis Brieftasche, das wäre nicht meines! Verständnis für die rigorose Haltung von Frau Kammerer konnte ich auch nicht recht aufbringen. Rache am Ex auf Umweg über den Nachwuchs gehört für mich zum Ärgsten überhaupt, aber das konnte diese Frau gar begreifen…

Auch ich selber hatte schon einmal eine Begegnung der besonderen Art mit Frau Kammerer. An einem Frühlingstag in diesem Jahr war ich der eleganten wie hochreligiösen Frau im Stiegenhaus des Mietshauses über den Weg gelaufen. Ich wollte zu den Schwiegereltern um diese abzuholen und wusste: Ali konnte jeden Moment anrufen und mir mitteilen, wann er eintreffen würde. Ich hatte es eilig, das wusste ich noch, aber Frau Kammerer war unerbittlich. Sie kannte mich vom Sehen und hielt mich an. „Ich kenne Sie doch!“ Ihre Stimme klang scheinheilig und wen versuchte sie eigentlich zu überzeugen? Ali und seine Eltern waren schon ewig mit ihr bekannt. Ich blieb trotzdem stehen und blickte sie herausfordernd an.

„Sie sind doch mit dem Junior verheiratet nicht wahr?“ Wie süßlicher Seim umfing mich ihre Stimme. Als unsere Blicke kollidierten, muss das für sie wie ein elektrischer Schlag gewesen sein, denn sie zuckte ob meiner Kälte sogar ein wenig zusammen. Aber dann fasste sie sich wieder. „…aber nur standesamtlich, nicht wahr?“ Ihre Stimme sank zu einem Flüstern zusammen. „Wissen Sie, dass das Sünde ist?“ Ihren vermeintlichen Triumph hatte Frau Kammerer geschickt platziert, aber der Schlag ging trotzdem daneben. Ich lachte ihr ins Gesicht. „Echt?“ Dann ließ ich sie stehen…

Etwas strenge Ansichten, aber Frau Kammerer hatte ihrem Ex wohl auch nie verziehen, dass er das „Ehegelübde“ gebrochen hatte. Sie, die auf ihr Äußeres so großen Wert legte, ging den Männern nach der Scheidung tunlichst aus dem Weg. Aber ich war mir sicher, dass das nicht nur an der Unauflöslichkeit der Ehe lag, die sie propagierte, sondern vor allem auch daran, dass ihr Mann mehr Unterhalt zahlen musste, wenn sie ihre Kinder alleine versorgte. Den Buben hätte eine Vaterfigur durchaus gut getan und unter der Fuchtel des Racheengels von einer Mutter konnte es durchaus sein, dass ihr Charakter verweichlicht und instabil verformt worden war…

Es ging uns alle trotzdem nichts an. Frau Kammerer hätte selber dringend einen Mann an ihrer Seite gebraucht um zu mehr seelischer Stabilität zu finden und ihre dummen Rachegedanken aufzugeben. Stattdessen kasteite sie ihren Körper und übertrug den Frust und den Hass auf ihren Nachwuchs und machte auch gern am Jugendamt Stimmung gegen ihren Ex… Die Welt war ja so schlecht, befand zumindest Frau Kammerer, und da bedurfte es Frauen wie ihr, die die moralischen Gebote mit unantastbarer Ehrbarkeit noch hochhielten. Schlecht konnte einem werden, wenn Frau Kammerer solche Reden schwang…

© Vivienne

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