Vivienne hat in ihrem Beitrag „Die Heiligen Kühe“ zuletzt das oftmals sehr selektiv scheinende Eintreten der Arbeitnehmerorganisationen angeprangert. Konkret wird in dem Beitrag kritisiert, dass die Gewerkschaft bei Berufsgruppen wie Metallern, Eisenbahnern oder Beamten äußerst rasch aktiv wird, während es kaum jemanden stört, wenn etwa die Arbeitsbedingungen für Handelsangestellte mit den Füssen getreten werden. Ich möchte in den nachfolgenden Zeilen gerne die Hintergründe etwas zu beleuchten versuchen.
Die Gewerkschaften machen selbst kein allzu großes Hehl daraus, dass sie nur in solchen Branchen etwas ausrichten könnten, wo sie auch gut organisiert sind. „Es gibt vieles, für das es sich lohnt organisiert zu sein“, lautet ein plakatierter Werbespruch des ÖGB zur Neugewinnung von Mitgliedern. Nun könnte man sagen, dass ein Rechtsanwalt auch nur die Interessen seiner zahlenden Mandanten vertritt. Eine zwiespältige Angelegenheit: Der ÖGB wird meinen Vergleich nicht ganz widerspruchslos zustimmen, da damit der vielgepriesene Solidaritätsgedanke abhanden kommen würde. Doch auf der anderen Seite ist der Gewerkschaftsbund als Wirtschaftsbetrieb natürlich an seiner Einnahmenentwicklung interessiert um seine Funktionäre finanzieren zu können. Auch wenn der legendäre Streikfonds in der Vergangenheit keine allzugroßen Abgänge verzeichnen musste, müssen Benefits für Gewerkschaftsmitarbeiter doch finanziert werden. Um die Gewerkschaft vom Vorwurf einer Profitoptimierung wieder freizuspielen, sei noch folgendes gesagt. Ich bin mir natürlich bewusst, dass die Gewerkschaft auch ein Mandat braucht um in Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite eintreten zu können und dieses Mandat können ihr in erster Linie nur Mitglieder verleihen.
Meine vorangegangene Darstellung hat aber auch einen gewaltigen Hacken. Wie Vivienne in ihrem Beitrag bereits beschrieibt, geht es nicht um die unterschiedliche Behandlung von Mitgliedern und Nichtmitgliedern sondern um den Unterschied zwischen Branchen. Man muss sich wohl bewusst sein, dass die Arbeitsbedingungen nicht in allen Branchen ident sein können, dazu sind die Anforderungen und die Wertschöpfung zu unterschiedlich. Der ÖGB macht sich in Branchen stark, wo er zahlreiche Mitglied hat, was dazu führt, dass dort auch oftmals bessere Arbeitsbedingungen vorherrschen. In Branchen mit deutlich schlechteren Kollektivverträgen – wie etwa dem Handel – finden sich auch weniger Gewerkschaftsmitglieder. Nun könnte man zum dem fatalen Schluss kommen, dass die Handelsangestellten an ihrer Lage selbst mitschuld wären. Würden sie doch nur zahlreich der GPA beitreten könnten sich die Arbeitsbedingungen schlagartig bessern. Vielleicht ein klassischer Teufelskreis vor dem wir hier stehen: Der ÖGB kann oder will sich im Handel nicht mehr engagieren, weil er kein Mandat durch Mitglieder hat, die Handelsangestellten widerum treten nicht bei, weil sie sich davon nicht viel erwarten.
So einfach ist die Welt aber leider auch nicht zu erklären. Denn sehen wir uns die gewerkschaftlich stark organisierten Unternehmen doch mal näher an. Es handelt sich entweder um Staatsbetriebe oder staatsnahe bzw. zumindest ehemals im Staatseinfluss befindliche Unternehmen, die teilweise eine annäherende Monopolstellung in ihrem Bereich haben oder hatten. Hier waren und sind Verhandlungen mit einem möglicherweise parteinahen, Eigentümervertreter wesentlich einfacher zu führen als mit dem Vertreter eines weltweit agierenden börsennotierten Konzern. Dass staatsnahe Betriebe einen hohen Anteil an Gewerkschaftsmitgliedern haben ist letztendlich auch darauf zurückzuführen, dass eine Mitgliedschaft beinahe eine Voraussetzung für die Anstellung sein kann. Ein Umstand der in Kleinbetrieben ironischerweise gerade in umgekehrter Form besteht…
In Zeiten der Globalisierung ist es für private Unternehmen am freien Markt modern geworden mit Auslagerung von Produktionsstätten zu drohen, womit die Gewerkschaften in ihren Verhandlungen auch zunehmend konfrontiert werden. Eine Antwort auf diese Herausforderung ist aber ohnehin ein ganz anderes Thema…
Pedro