Nelson Mandelas Verbannung auf „Robben Island“, diesem ständig vom saukalten Beluega Strom umspülten Knast, ging in die zweite Verlängerung, während, wie so oft in letzter Zeit bei uns zuhause, mal wieder die Erde bebte.
Ja, jetzt erinnere ich mich wieder ganz genau!
Djakarta, irgendwann in den späten Achtzigern. Mutter war gar nicht begeistert. Vater war wie immer zuerst ganz ruhig geblieben. Er hatte unserer Mutter nun zum soundsovielten Male zu erklären versucht, dass der Erste Sekretär einer Bundesrepublikanischen Botschaft in der Hauptstadt Indonesiens den Ruf des Außenministers in Bonn nicht einfach so mir nichts, dir nichts ignorieren könne. Schließlich war er dann wohl doch noch laut geworden!
„Eleonore, nehme ich nicht an, bin ich raus! Willst du oder kannst du das wirklich nicht verstehen? Ich habe nur diese eine Chance endlich Botschafter zu werden, diese Riesenchance!“
Eleonore wollte oder konnte wirklich nicht. Wir Kinder schon. Und wir wollten auch! Wobei mir meine Schwester die ganze Tragweite dieser Unterredung zwischen Vater und Mutter erst am Abend, in meine ganz eigene Sprache übersetzte.
Sechs Monate später sah ich dann sie!
Waren in Indonesien einige der Mädchen, die mit mir in die Internationale Schule gingen, schon ziemlich dunkel, so war ich dann doch sehr überrascht.
Sie, die mich in der Küche mit aufgerissenen Augen ansah, war dagegen pechschwarz. In überaus buntes Baumwolltuch gewickelt, welches auf mich da noch den größten Eindruck machte.
Hinter unserer Köchin, Missis Boga, einer sehr freundlichen Frau aus West-Soweto lugte sie hervor. Und das zweite was mir auffiel, waren ihre strahlenden Zähne, die das schüchterne Grinsen noch zu unterstreichen schienen.
Missis Boga, die ich nun schon kannte und die bei unseren Hausangestellten so etwas wie die Anführerin einer dienstbaren Brigade dastellte, lachte mich nur an. Ihre Finger machten ein paar kurze Bewegungen und mir wurde sofort klar, was sie mir sagen wollte.
Das also war Djindoi,ihre Zweitälteste von sieben Mädchen. Ich nickte, und ihr Lachen zeigte an, dass auch sie mich verstanden hatte.
Missis Boga, mein Vater hatte sie mir vorgestellt, war von allen Anwärterinnen um den Küchenjob im Haushalt des neuen Botschafters in Pretoria, die wohl am besten Geeignete gewesen.
Und nun lernte ich endlich Djindoi kennen, ein Kind in meinem Alter und mit genau demselben Gebrechen wie dem Meinen.
„Südafrika, Johann, nein das mache ich nicht mit. Ich will mich nicht schon wieder hinter dicken Mauern einsperren lassen. Mach du, was du willst, die Kinder und ich, wir gehen wieder nach Frankfurt zurück. Südafrika hat die weltweit höchste Kriminalitätsrate der westlichen Welt. Ich will endlich wieder unter Menschen, Johann!“
Ich weiss gar nicht mehr, was damals in Mutter gefahren war. Aber schließlich folgten wir Kinder, Vater in die Union ans Kap der Guten Hoffnung, das allerdings beinahe dreitausend Kilometer weiter, südlich unseres neuen Zuhauses in der Hauptstadt der Burenrepublik lag.
Vater hatte sehr lange mit uns gesprochen und uns die neue Lage ganz genau erklärt.
Meine Schwester Julie, da beinahe schon ein Teenager, und ich hörten nur gespannt zu. Nicht alles hatte ich sofort kapiert, aber dafür hatte ich ja Julie.
Die übersetzte dann für mich in Reinschrift all das, was ich nicht wirklich mitgekriegt hatte. Ganz zuletzt, als klar war, dass wir ohne Mutter zum Vater gehen würden, hatte mir Julie noch kräftig auf die Schulter geklopft und gemeint, dass das Ganze ein ungeheurer Spaß sein würde.
Ich streckte Djindoi meine Hand hin und diese tauchte nun aus der Deckung ihrer Mutter auf.
Ihre Zeichen waren zwar für mich verständlich, aber das Tempo ihrer Gebärdensprache machte mir ein wenig zu schaffen. Ja, beinahe Angst überfiel mich.
Djindoi beherrschte die Gebärdensprache wirklich sehr perfekt und trotz unserer verschiedenen Muttersprachen kamen wir sofort ins Gespräch. Obwohl ich selber nicht ganz so geschickt darin war, meine Worte in Zeichen zu setzen, bemerkte ich sofort, dass Djindoi sich sehr bemüht gab, mich zu verstehen.
„Du heißt Jennifer, sagte mir meine Mam?“
Ich nickte ihr zu.
„Du bist, so wie ich, taubstumm?“
Ich nickte abermals.
„Was magst du am liebsten auf der Welt?“
Nun musste ich antworten. Nur zu nicken war nicht mehr gut möglich.
„Meine Mutter! Nur, die ist jetzt in Deutschland. Und du?“
„Du hast einen Dad, wie heißt der?“
Seltsam, sie fragt nach meinem Vater, warum nur?
„Warum willst du wissen wie mein Vater heißt?“
„Weil ich mir immer einen Vater gewünscht habe!“
Aha, Djindoi wünschte sich also einen Vater und ich mir meine Mutter hierher.
Da war also eine mir selenverwandte, mit dem gleichen Handicap behaftete Person und uns beide einte nicht nur die ganz spezielle Art zu kommunizieren, sondern der Kummer um einen großen Verlust.
In den Jahren in Pretoria hatte ich ungezählte Gespräche mit Djindoi und erst als es für mich, den Vater und die Schwester wieder in Richtung Frankfurt ging, konnte ich das ganze Maß der nun wohl endgültigen Trennung erfassen.
Ich hatte dann endlich die Mutter wieder, aber eine Freundin dafür eingetauscht.
Chefschlumpf im Mai 15