Mein erster Kater

Mein ganzes Leben besaßen wir in unserer Familie Haustiere. Unvergessen Rex, unsere Bernhardiner-Boxer-Mischlingshündin, aber noch mehr beherrschten Katzen das Geschehen bei uns daheim. Zunächst wollten diese anschmiegsamen Tiere nicht wirklich heimisch werden bei uns, was auch an Rex lag, die ihr Revier bedingungslos verteidigte und wie jeder Hund andere Tiere als natürliche Feinde sah. Auch kleine, vierbeinige wie schnurrige Rivalen. Bis der Kater Peter unerwartet in unser Leben schneite. Ich kann mich noch so gut erinnern, als ob es gestern gewesen wäre. Meine jüngere Schwester und der ein Jahr ältere Bruder hatten bei unserem Greißler im Spätherbst ein paar Einkäufe erledigt, kamen aber nicht nur mit den gekauften Sachen heim.

Ein kleiner, schwarz-weißer Kater war den beiden gefolgt, berichtete meine Schwester. Was aber nicht stimmte. Ihr hatte das miauende Kätzchen in der Nähe eines Bauernhofes leid getan, deshalb hatte sie es einfach mitgenommen, aber das gestand sie erst viel später. Was für ein entzückendes Geschöpf! dachte ich mir sofort. Der kleine Kater hatte eine rosa Nase, die links einen dunklen Tupfer aufwies. Mein Herz hatte er im Sturm erobert, das meiner Mutter nicht. Peter, wie wir ihn nannten, weil mein Vater früher alle Katzen Peter nannte, wollte nicht so recht sauber werden, weswegen meine Mutter sogar mit dem Gedanken spielte, ihn zu dem Bauern zurückzubringen, bei dem ihn meine Geschwister gefunden hatten. Aber Peter kratzte die Kurve, gerade noch, muss man sagen, und ging dann doch brav auf das Kistchen.

Wenn ich Peter mit meinem Stocki vergleiche, sind die beiden nicht nur optisch sehr unterschiedlich. Stocki war immer ein selbstbewusster Kater gewesen, eine Art Rudelsführer, der unter seinen Geschwistern schon den Ton angab. Peter war da zunächst ganz anders. Er war verschreckt, fürchtete sich sogar vor Spielzeugmäusen, und am meisten hatte er Angst vor unserer Rex. Ich gab mir alle Mühe, die beiden aneinander zu gewöhnen, aber alles, was ich erreichte, war, dass Rex den Kater zwar ansah, als wollte sie ihn sofort verspeisen, aber ihn als folgsamer Hund natürlich nicht anrührte. Peter selber fauchte und ging nur in sicherer Entfernung und mit zuckender Schwanzspitze an dem großen Tier vorbei. Was meiner Liebe zu dem Kater keinen Abbruch tat.

Ich dichtete in kindlichem Eifer sogar ein Lied für ihn und mein Onkel, der Halbbruder meines Vaters, ein begnadeter Hobbymaler, zeichnete mit Kohle ein wunderschönes Bild von uns zwei, wie ich den Kater im Arm hielt und der am liebsten davonlaufen wollte, weil ich ihn so krampfhaft hielt. Mit wenigen Strichen hatte es mein Onkel verstanden, Peters Unmut und meine Unnachgiebigkeit darzustellen. Was jetzt nicht heißen soll, dass meine Gefühle für den Schwarz-Weißen einseitig waren, das ganz sicher nicht. Peter saß vor allem im Winter gern auf meinem Schoß und schnurrte zärtlich, wenn ich lernte oder meine Hausaufgaben machte. Er hatte halt wie alle Katzen einen eigenwilligen Charakter und mochte es nicht, von Gefühlen erdrückt zu werden, was ich mit knapp 10 Jahren aber kaum begriff.

Peter war also lange ein verschreckter Kater, bis unerwartet unsere Rex starb. Binnen weniger Wochen mutierte der oft verstörte bis furchtsame Kater zu einem starken Tier, der das Revier unserer Hündin selbstbewusst übernahm und plötzlich auch Mäuse zu fangen begann – was er bis dahin nie getan hatte. Meine Mutter hatte sich oft über ihn lustig gemacht deswegen. Aber plötzlich saß er mit seiner Beute vor der Tür, und später sprang er sogar auf das Fensterbrett und machte sich dort bemerkbar, manchmal mit, manchmal ohne Maus. Ein Jahr später war Peter also ein ganz anderer Kater geworden, der uns dennoch um nichts weniger lieb hatte, aber einfach öfter wie früher unterwegs war.

Hatte er die ersten vier Jahre seines Lebens fast nur bei uns daheim verbracht, stellte er nun dem weiblichen Katzenvolk viel intensiver nach und musste natürlich auch sein Revier verteidigen. Mein Kater ist er natürlich trotzdem geblieben. In dieser Weise ähnelte er auch meinem Stocki, der seine Leben als „Wildkater“ und „Hauskatze“ auch streng trennt und im Grunde außerhalb unseres Hauses ganz andere Gewohnheiten pflegt. Was aus Peter geworden ist? Eines Tages ist er von seinen Touren nicht mehr heimgekehrt, wir wissen bis heute nicht, ob ihn ein Jäger erwischt hat oder ob er von einem anderen Kater so schwer verletzt worden ist. Fakt ist, dass mir schließlich schmerzhaft bewusst wurde, dass mein Kater nicht mehr sein konnte, weil er sich trotz aller Hoffnungen auch nach mehr als vierwöchiger Abwesenheit nicht mehr blicken hatte lassen…

Ob es Stocki auch einmal so gehen wird? Mag sein. Stocki ist zwar im Gegensatz zu Peter kastriert, sein Leben hat sich aber nicht wesentlich geändert dadurch. Oder besser gesagt: ich möchte gar nicht wissen, was Stocki noch alles aufführen würde, wenn er noch ein Vollblutkater wäre, um es unmissverständlich zu formulieren… Jedenfalls bleibt mir die Erinnerung an den Kater Peter und an unser gemeinsames Bild, das auch heute noch bei mir hängt.

Vivienne

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