„Ich hasse Krankenhäuser“ ist ein frühes, nichts desto Trotz sehr authentisches Gedicht von mir und birgt meine Gedanken zum und meine Auseinandersetzung mit dem Tod, der einem im Krankenhaus immer wieder begegnen kann. Ganz besonders auch im Zusammenhang mit den eigenen Eltern – einer Konfrontation, der kaum einer von uns entgehen dürfte. Einen Bekannten von mir aus Wien, den ich schon eine ganze Weile kenne, traf diese Auseinandersetzung sehr unmittelbar und schmerzhaft. Nicht nur, weil er dabei seine Mutter in einem aussichtslosen Kampf gegen eine bösartige Krankheit verlor, sondern auch, weil er sich von ihren behandelnden Ärzten im Stich gelassen fühlte – heute, wenige Wochen nach ihrem Tod, bleibt ihm das herbe Gefühl, dass für seine Mutter in einem größeren Krankenhaus mit eigener onkologischer Station vielleicht mehr getan hätte werden können, auch wenn die Prognose durch die Schwere der Erkrankung von Anfang an schlecht war. Aber schon hier muss man ansetzen…
Ich traf den Bekannten kürzlich in der Bundeshauptstadt und was er mir über die Sache zu erzählen hatte, machte mir eine gewisse Bitterkeit durchaus plausibel. – Etwa Mitte Oktober letzten Jahres wurde die Mutter meines Bekannten, eine rüstige und lebenslustige Person, die einige Wochen zuvor erst eine neue Beziehung legalisiert hatte, mit Gelbsucht in ein Floridsdorfer Spital eingeliefert. Mein Bekannter machte sich wegen der Diagnose zunächst wenig Gedanken, da ihm mitgeteilt wurde, diese Gelbsucht würde in etwa zwei Wochen ausheilen. Zudem wurde dort eine Biopsie der Leber veranlasst. Ende Oktober verließ die Frau auch wieder das Krankenhaus, etwas schwach zwar, aber durchaus nicht in bedauernswerter Verfassung, wie mir der Bekannte versicherte. Allerdings besserte sich ihr Zustand kaum, und als ihn, den Bekannten, kurz vor Antritt eines Urlaubs um den 10. November die Nachricht ereilte, die Mutter wäre wegen einer Thrombose erneut in jenes Spital gebracht worden, beschlich den Bekannten erstmals ein etwas ungutes Gefühl.
Nach der Rückkehr aus dem Urlaub lag seine Mutter allerdings noch immer im Krankenhaus, und es dauerte noch einmal etwa eineinhalb Wochen, bis mein Bekannter und die Familie mit der zugegeben heftigen Diagnose konfrontiert wurde: Die Frau litt an einem Karzinom des Gallenganges und als mein Bekannter sich im Internet darüber schlau machte, ließen die Informationen wenig Zweifel darüber, wie schwerwiegend die Erkrankung seiner Mutter wirklich war. Was ihn zu der Zeit aber noch mehr beschäftigte, war das Faktum, dass er und seine Familie zuvor nicht informiert worden waren, dass eine Gelbsucht bei Erwachsenen kein Pappenstil ist und meistens einen schwerwiegenden medizinischen Hintergrund hat. Auch dass eine Thrombose in gewissen Fällen durchaus eine unerkannte Krebserkrankung anzeigen kann, wurde im Falle der Mutter meines Bekannten nie erwähnt. Mit der Tatsache, dass dieses Karzinom zu den seltensten und bösartigsten seiner Sorte gehört, hatte sich mein Bekannter relativ rasch online vertraut gemacht. Dass die Spezies der Ärzte in jenem Floridsdorfer Spital der besonders schweigsamen zuzuordnen ist, damit musste sich mein Bekannter mit seiner Familie fast genauso heftig auseinandersetzen.
Zwei Chemotherapien wurden bei der Mutter meines Bekannten angeordnet, wobei beide ganz schlecht anschlugen und die letzte abgebrochen wurde, weil sie der geschwächten Frau die letzten Kräfte raubte. Bei einem ausgemachten Termin mit einem Arzt über die weitere Behandlung seiner Mutter wurden der Mann und sein Stiefvater versetzt, beim zweiten, dem sich der Arzt nur in Begleitung einer Oberschwester stellte, war seine Auskunftsbereitschaft praktisch null. Den Vogel schoss bei dem Gespräch übrigens die Oberschwester ab, die darauf hinwies, dass man bei meinem Bekannten mit den Erklärungen „ganz von vorn anfangen müsse“ – da er sich selbst offensichtlich aus den spärlich hingeworfenen Auskunftsbrocken keinen Reim machen könne, was er laut Oberschwester wohl hätte müssen… Mein Bekannter, der sich diese lapidare Desinformation nicht mehr bieten lassen wollte, begann sich Gedanken über alternative Möglichkeiten zu machen. Über eine Freundin, eine Krankenschwester, bekam er die Telefonnummer des bekanntesten Krebsspezialisten des Landes. Wegen der Weihnachtsfeiertage erhielt der Bekannte allerdings erst für die zweite Jännerhälfte einen Termin für ein Gespräch mit dem renommierten Wiener Onkologen.
Kurz vor diesem Termin verstarb die Mutter allerdings, und neben der Trauer und dem Schmerz bleiben meinem Bekannten die Zweifel, ob in dem Floridsdorfer Krankenhaus manches nicht geschehen ist, was in so einem Fall ein fixer Bestandteil der Betreuung der Patienten und ihrer Angehörigen sein müsste: neben einer offenen Erläuterung der Prognose und der Behandlungsmöglichkeiten war und ist es vor allem auch die Gesprächsbereitschaft, die von den Angehörigen völlig vermisst wurde. Ich sage bewusst müsste, denn das Manko in dem Bereich ist unmenschlich hoch, nicht nur in Floridsdorf. Das weiß ich persönlich bereits seit dem schweren Schlaganfall der Schwiegermutter meiner Schwester im letzten Jahr: als es mit ihr zu Ende ging, ließ der behandelnde Arzt meine Schwester und ihren Mann geschlagene zwei Stunden warten, ehe er sich zum Gespräch mit ihnen aufraffen konnte. Im Grunde hatte der Mediziner wohl gehofft, die beiden würden von selbst gehen… Umfassende Ausbildung, ewig langes Studium und langwierige Prüfungen – aber menschlich ein Defizit, das zum Himmel schreit, das zeichnet unsere Ärzteschaft häufig aus. Im Grunde frage ich mich, warum der Run auf das Medizinstudium weiter anhält, wo doch die angehenden Ärzte fast alle miteinander so taub sind auf dem Ohr der zwischenmenschlichen Kommunikation…
© Vivienne