KRITISCH BETRACHTET
von Vivienne – Juni 2002
Haben wir wirklich keine anderen Sorgen…?(!)?
Gedanken zur Fußball WM …
Fußballweltmeisterschaft 2002. Man kann sich noch so viel Mühe geben, man kommt trotzdem nicht daran vorbei. In den Zeitungen seitenlange Sonderberichte, im Fernsehen bringt jeder Kanal Ausschnitte. Laut Elektrohandel boomen Mini-TV-Geräte, die man in der Firma einschalten kann, wenn der Chef nicht da ist, und die schnell unter einem Ordner oder in einer Lade verstaut sind, wenn jemand kommt. Selbst die lieben Kolleginnen kennen nur mehr ein Thema von wegen Frauen und Fußball: wer das behauptet, hat keine Ahnung von der Realität. Und wen der Kampf 22 Männer gegen einen Ball nicht wirklich interessiert, so wie mich, der oder die muss gute Miene zum bösen Spiel machen. König Fußball regiert wieder die Welt. Da rangieren schwere weltpolitische Probleme unter ferner liefen…
Kein Mensch interessiert sich im Moment, wie der beinharte Krieg zwischen Palästinensern und Israelis weitergeht. Selbst innenpolitische Bomben wie die neuen Abfangjäger oder eine mögliche Steuerreform beschäftigen die Leute nicht halb so viel wie das runde Leder. Dass wir Österreicher durch das 0:5 Debakel in der Türkei im letzten Herbst wer erinnert sich noch? – bei dieser Fußball WM nicht einmal selber vertreten sind, schmälert das Interesse in keinster Weise und so mancher hat diese Tatsache noch gar nicht so richtig registriert. Kurz vor Beginn der WM stellte Life Radio einigen Passanten auf der Straße die Frage, was sie sich denn für ein Abschneiden der österreichischen Kicker bei der WM erwarten würden. Erstaunlich die Anworten: Die reißen eh nichts..!. Was soll unterm Krankl schon besser werden… Amüsant, kein Zweifel. Aber es lebe der Fußball!
Diese Begeisterung für Sport mag Skeptiker und Fußballgegner auf die Barrikaden treiben, aber ist sie wirklich ein Armutszeugnis für die Menschen? Ich wage das in Frage zu stellen, da das Leben ohnedies voll ist mit Negativschlagzeilen zur Hauptabendzeit im Fernsehen. Auch die Arbeit stellt genug Anforderungen an uns, Stress und Ärger sind an der Tagesordnung. Hand aufs Herz: wer sollte es der Masse verbieten, mit Sportergebnissen und Fußballübertragungen etwas Farbe und Abwechslung in den Alltag zu holen? Ich denke, dass auch die meisten Chefs ein Auge zudrücken, wenn ein Mitarbeiter im Internet nach einem Halbzeitstand forscht. Glücklich der, der es schafft, der oft monotonen Routine eines Arbeitstages für kurze Zeit zu entfliehen, weil er eine Halbzeit mitverfolgen kann.
Ich bin selber nicht unbedingt ein Sportfan, aber ich bin überzeugt, dass das Leben nicht nur aus der täglichen Pflichterfüllung in der Arbeit (bzw. dem Haushalt!) und der ZIB am Abend bestehen kann. Überdies geht jede WM einmal vorbei, und dann ist es ohnedies nicht mehr so leicht sich der Innen- und Weltpolitik zu verschließen. Auch das vielzitierte Klischee von der vernachlässigten Hausfrau, die bei solchen Spielen links liegen gelassen wird und im besten Fall dem Herrn der Schöpfung die Biere kaltstellen darf, stimmt, wie ich oben schon anklingen ließ, längst nicht mehr. Mehr und mehr Frauen interessieren sich selber für Fußball, und – hört, hört! sie wissen mittlerweile ganz genau, was Abseits bedeutet.
Im Grunde ist es doch alles andere als einfach, sich angesichts schwerer weltpolitischen Themen, wie etwa auch der aktuellen Krise zwischen Indien und Pakistan, überhaupt noch auf anderes, nicht so Wichtiges konzentrieren zu können, abschalten zu können. Ich weiß noch, wie mich der Terroranschlag auf das World Trade Center über Wochen beschäftigte und in Atem hielt. Ich bewundere da Menschen, die es schaffen, solche weltbewegende Angelegenheiten auch einmal längere Zeit beiseite schieben zu können. Wie immer man jetzt zu sportlichen Großveranstaltungen stehen mag: für viele wird das Leben reicher dadurch, und der eine oder andere hat ohnedies nicht viel mehr vom Leben als ein paar Spiele des Vereines jeden Monat, eine Meisterschaft,… Das kleine Glück, weil es im eigenen Leben nie wirklich klappt.
Und wenn ich da die Einwände höre, dass die Sportler allesamt nichts im Kopf haben und gerade die Fußballer viel zu viel verdienen: Nicht jeder braucht ein Akademiker zu sein, und was das große Geld für manchen Ballkünstler betrifft – jeder Fußballer kann nur das verdienen, was der Verein auch bereit ist zu bezahlen. Und gerne vergessen diese Kritiker, dass mit Mitte Dreißig spätestens auch der beste Dribbler dem aktiven Sport in der Kampfmannschaft ade sagen muss. Wieviele versinken denn nach einer kurzen Karriere im Niemandsland, weil sie danach im normalen (Berufs-)Leben nicht mehr Fuß fassen können?
Aber ich schweife ab. Um zum Grundthema zurückzukehren: Sicher hat die Welt andere Sorgen als die Weltmeisterschaft eines vorsichtig formuliert sehr simplen Spieles, bei dem so manches Unentschieden von beiden Mannschaften so miserabel über die 90 Minuten gebracht wurde, dass sich keine Mannschaft einen Punkt verdient hätte. Aber, erstens, gehört auch das zum Fußballsport und, zweitens, brauchen die Menschen halt mehr in ihrem Leben als nur Verantwortung, Karriere oder Prestigeobjekte. Und wenn ich mir denke, wie viele Leute am Wochenende oder in der Freizeit nur im Wirtshaus oder in der Disco sitzen und sich dabei (sinnlos) besaufen lassen wir den Leuten doch den Sport! Lassen wir ihnen den Fußball. Der ist solange er nicht ins Rowdietum mündet noch immer das harmlosere Vergnügen, meint
Vivienne
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