Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Oktober 2004



Eine Kette der Hilfsbereitschaft

„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!“ Dieses geflügelte Wort des großen Erich Kästner kennt fast jeder und trotzdem ist es mit Hilfsbereitschaft auf dieser Welt sehr schlecht bestellt. Die Leute sehen gern weg, vor allem wenn eine Hilfestellung mit Stress, Arbeit oder sonstigen Unannehmlichkeiten verbunden ist. Mir fällt dann immer auch die Erzählung eines jungen Mädchens ein, das auf offener Straße von einem Mann sexuell attackiert wurde und aus Leibeskräften um Hilfe schrie. Die Passanten gingen einfach weiter… Und trotzdem, es geht auch anders. Wenn die richtigen Leute zur richtigen Zeit an Ort und Stelle sind…

Ja, die Pizza war gut gewesen. Das Essen hatte mir wirklich geschmeckt. Ich war nach der Arbeit mit einer Kollegin noch zum Italiener in der Nähe gegangen. Wir hatten geredet, unseren Frust und unsere Ärgernisse Revue passieren lassen und dabei gut gespeist. Schließlich brachen wir auf, Steffi, die Kollegin, musste noch zu einen Arzttermin. Und ich hatte es nicht eilig. Albert war noch mit seinem Chef bei einem Kunden und würde wohl auch erst spät heimkommen. Gemächlich schlenderte ich zur Bushaltestelle. Ich hatte Zeit über Zeit, niemand hetzte mich. Und ich genoss die Muße…

Neben dem Postamt befand sich doch dieses lässige Lederwarengeschäft, wo ich neulich diese tolle Tasche um einen sensationellen Preis erworben hatte. Es war noch nicht 18:00 Uhr – wenn ich mich beeilte, konnte ich noch einen Blick auf ein paar neue Sachen dort werfen. Wer weiß, vielleicht fand ich noch so ein feines Schnäppchen! Aber heute wollte mir nichts so recht gefallen. Nachdem ich den Ständer vor dem Geschäft durchgeschaut hatte, schüttelte ich den Kopf. Nein, das war’s nicht. Ich ging weiter, als ich eine leicht gestresste wirkende Frauenstimme hörte. „Entschuldigen Sie, könnten Sie mir bitte läuten?“ „Gerne!“ hörte ich mich mechanisch antworten. „Wo denn?“ Dann drehte ich mich um. Die junge Frau, die mich angesprochen hatte, trug ein entzückendes Kätzchen im Arm. Dunkelrot getigert mit weiß. Einfach süß.

„So ein liebes Kätzchen!“ war ich noch ganz begeistert. „Ja“, stimmte mir die junge Frau zu. „Aber leider geht es dem Tier ganz schlecht. Ich habe es eben auf der Straße aufgelesen…Mir gehört das Tier gar nicht, aber es tut mir so leid!“ Da bemerkte ich erst, dass das Tier, das seiner Retterin von der Schulter gesprungen war, beim Gehen schwankte und die Nase war ganz blutig. Außerdem hatte es auf der Kleidung und den Händen der Tierfreundin unleugbare Spuren von Körperausscheidungen hinterlassen, wie ich feststellte. Sofort läutete ich, während die junge Frau fast wie ein Stoßgebet die Bitte äußerte, die Tierärztin möge sich melden. Aber sie tat es nicht, offenbar war sie nicht daheim. Die Frau seufzte. „Schade, ich habe kein Handy da, sonst würde ich einen anderen Tierarzt anrufen.“ „…aber ich habe ein Handy da!“ Ich war selber überrascht, mich zu engagiert wahrzunehmen. Skeptisch sah mich die Katzenfreundin an.

Ich wies hingegen auf das Schild am Haus, das die Tierarztpraxis anzeigt. „Sehen sie, da ist eine Notfallnummer.“ Schon wählte ich das Handy der Tierärztin. Und nach dem zweiten Läutsignal meldete sich schon die Veterinärin. Ich stellte mich vor und schilderte die  Geschichte. „Wir stehen hier vor Ihrer Praxis. Eine junge Frau hat eine junge Katze von der Straße gerettet, die  aus der Nase blutet und sehr mitgenommen wirkt…“ Die Tierärztin hörte interessiert zu. Schließlich meinte sie. „Ich bin leider auf dem Weg zu einem Hausbesuch, möglicherweise ist das Tier nicht gar so übel verletzt wie es vielleicht den Anschein hat. Am besten ist, Sie bringen es ins Tierheim Urfahr. Vorort ist ein Tierarzt, der sich der Katze annehmen wird und dort gibt es auch Mittel und Wege, den Besitzer zu eruieren.“

Mittlerweile waren ein paar Leute bei der jungen Frau stehen geblieben und begutachteten das Kätzchen, das beim Eingang des Hauses kauerte und keinen guten Eindruck auf mich machte. Die Frau selber reinigte notdürftig ihre verschmutzten Hände mit einem Papiertaschentuch. Ich berichtete ihr von dem Vorschlag der Veterinärin und sie nickte. „Gut, dann bringe ich das Tier nachher selber hin. Ich wohne nicht allzu weit von hier und habe ein Auto…“ Sie hielt inne und blickte suchend um sich. „…wenn ich nur einen Karton hätte, wer weiß, ob das Tier Brüche oder andere Verletzungen erlitten hat… ich könnte ihm so wehtun…“ Das Geschäft weiter oben, das wäre eine Möglichkeit! ging mir durch den Kopf.

Ich schlug der Frau vor, dort wegen eines Schachtel zu fragen und sie war erfreut über meine weitere Hilfe. Das Tier gehörte ihr nicht, aber sie fühlte sich verantwortlich. Ich zögerte nicht eine Sekunde und marschierte die paar Meter die Straße zurück. Im Geschäft war aber zuerst keine Person zu sehen, ich rief immer wieder und es dauerte eine Weile, bis die Chefin mit dem Schnurlostelefon in der Hand am Hintereingang eintrat. Meine Bitte entlockte ihr zunächst keinen übermäßig begeisterten Blick, aber schließlich begann sie zu kramen und brachte mir eine große Schachtel in die sie bereitwillig Füllpapier legte. Ich bedankte mich herzlich und trat den Rückweg an.

Die Tierfreundin war mit ein paar Passanten ins Gespräch verwickelt. Sie freute sich sehr über meine erfolgreiche  Mission und bedankte sich mit warmen Worten. Die Hände konnten wir uns leider nicht zum Abschied reichen, wie wir beide bedauerten, da die Hände der jungen Frau noch immer verschmutzt waren. Aber das machte gar nichts. Wir kannten uns nicht, würden uns auch wahrscheinlich nie wieder sehen. Und trotzdem hatte uns das Schicksal hier mitten in Linz zusammengeführt in einer einzigartigen Rettungsaktion für ein wildfremdes Kätzchen. Und über die Heilung des Tieres hinaus, die noch völlig ungewiss war, hatten wir demonstriert, was möglich ist, wenn man sich mal selber einen Ruck gibt und nicht den Dingen einfach ihren Lauf lässt. Auch wenn es „nur“ um ein Kätzchen geht. Als ich zum Bus ging, wünschte ich mir sehr, dass das Kätzchen überleben würde. Aber trotzdem spürte ich auch ein angenehmes Gefühl in mir: Die gute Tat trägt den Lohn in sich!

Vivienne

Link: Alle Beiträge von Vivienne

 

Schreibe einen Kommentar