von Vivienne – Jänner 2005
An Lieblosigkeit zerbrochen…
Albert und ich beschlossen letztes Jahr den Jahreswechsel in einer bayrischen Kleinstadt zu verbringen. Einen Freund von ihm aus Schärding, den er noch von der gemeinsamen Zeit beim Bundesheer kannte, hatte es der Liebe wegen ins bayrische Innenland verschlagen. Marco, so sein Name, war mittlerweile verheiratet und Vater einer Tochter, seine Frau Bärbel und er hatten uns schon im Herbst zu einer gemeinsamen Silvesterfeier eingeladen. Ich hatte Marco bisher erst ein oder zweimal gesehen, seine Frau kannte ich noch gar nicht aber da Ali über Weihnachten nicht frei bekommen hatte, wäre es eine schöne Gelegenheit gewesen, über dieses lange Wochenende doch noch gemeinsam etwas zu unternehmen. Donnerstagnachmittag fuhren wir also weg von Linz, und trafen kurz nach 22:00 Uhr in der sympathischen Kleinstadt ein.
Ich liebe den bayrischen Dialekt, nicht erst seit ich eine liebenswerte Kollegin habe, die unverfälscht dieses urige Idiom pflegt. Kein Wunder, dass ich mich schnell heimisch fühlte, denn die Begrüßung durch Marco und Bärbel fiel sehr herzlich aus. Die dreijährige Tochter der beiden schlief schon, und die Großeltern des Mädchens, die nicht weit entfernt wohnten, wollten sich an diesem Wochenende um das Mädchen kümmern, womit einem ungetrübten Vergnügen in der Silvesternacht nichts mehr im Wege stand. Bärbel bot uns sogar noch eine Brotzeit an, aber weder mir noch Ali stand der Sinn nach Essen. Wir waren einfach müde, die lange Fahrzeit hatte angestrengt und es war schwierig gewesen für Ali, überhaupt um 17:00 Uhr von der Arbeit wegzukommen
Ich war froh, als die Tür hinter uns geschlossen worden war. So viel Aufmerksamkeit kann auch anstrengend sein. Und fürs erste hatte ich nur das Bedürfnis zu schlafen Ali lachte laut auf, als ich im Bett so dalag, alle viere von mir gestreckt. Mehr bekam ich aber nicht mehr mit. Am nächsten Morgen schlief ich lange. Albert kitzelte mich, damit ich endlich bereit war, aufzustehen. Komm schon! Sollen alle auf dich warten? Er ließ nicht locker und wer wusste besser als er, wo sich die empfindlichsten Bereiche an meinem Körper befanden Nach einer guten Viertelstunde waren wir dann tatsächlich so weit, meine Müdigkeit war vergangen und wir begaben uns nach unten. Der Tisch war ganz für uns allein gedeckt, und da genehmigte ich mir gerne noch eine zweite Tasse Kaffee.
Bärbel erkundigte sich nach einer Weile, ob wir noch etwas benötigten. Ali fragte sie im Gegenzug wegen Marco, den er noch nicht gesehen hatte. Bärbel lächelte. Marco? Der ist schon unterwegs. Und der Herr Kapellmeister kommt nachher noch kurz zu uns, Marco ist ja der Kassier der Kapelle und da müssen zum Jahresabschluss noch ein paar Dinge besprochen werden. Wird aber nicht lang dauern. Ali und ich beschlossen, ein wenig spazieren zu gehen, wir hatten alle Zeit der Welt und wir wollten auch nicht stören. Mir war aber aufgefallen, dass Bärbel etwas verkrampft gewirkt hatte, als sie vom Herrn Kapellmeister gesprochen hatte, was Ali aber mit einem frechen Grinsen kommentierte. Hörst du schon wieder das Gras wachsen, Liebes?
Obwohl wir uns wirklich Zeit ließen, war bei unserer Rückkehr der Herr Kapellmeister noch da und Marco und er ins Gespräch vertieft. Ali und ich wollten uns dezent auf unser Zimmer verziehen, aber Marco hielt uns zurück. Bleibts ruhig da, wir sind gleich fertig. Er stellte uns kurz Herrn Siebenbrunner vor, einen eher kleinen Mann mit grauen Schläfen und einem schmallippigen Mund. Irgendwie wirkte er etwas kalt und hart auf mich, aber womöglich täuschte ich mich ja. Herr Siebenbrunner stand auf. Gut, dann wünsch ich einen guten Rutsch! Wir sehen uns morgen! Er nickte uns kurz zu und wandte sich an Marco um ihm die Hand zu drücken Wo ist die Bärbel, ich würde ihr gern auch ein Gutes Neues Jahr wünschen. Marco hob abwehrend die Hand. Lass gut sein, Karl sie hat viel zu tun.
Siebenbrunner zog die Stirne in Falten, er wirkte leicht ärgerlich, verlor aber kein Wort mehr und ging. Die Stimmung war plötzlich etwas unharmonisch und schließlich fragte ich kurz entschlossen. Was ist los? Eine wegwerfende Handbewegung Marcos konnte mich nicht überzeugen. Halb so wild Als er meinen interessierten Blick bemerkte, zuckte er die Achseln. Die zwei können nicht mit einander, die Bärbel und der Siebenbrunner. Ist eine lange Geschichte Ali und ich setzten und wortlos zu ihm und Marco schenkte uns Mineralwasser ein. Das Schweigen im Wohnzimmer füllte den Raum auf eine unangenehme Art und Weise. Schließlich begann Marco zu erzählen, mit leiser Stimme und einem Blick, der irgendwie in die Ferne gerichtet schien oder auch in die Vergangenheit.
Der Karl war mit Bärbels älterer Schwester verheiratet. Der Marlies. Und die Ehe war halt nur ein paar Jahre wirklich gut. Als die Kinder geboren sind, auf die die beiden lange warten mussten, hats den Karl immer mehr außer Haus gezogen. Mit den beiden Kindern konnte er nicht wirklich was anfangen, und Kapellmeister ist er damals auch geworden. Marco machte eine Pause, als müsste er nachdenken. Dann erst sah er uns wieder an. Und irgendwann hat sich dann ein Gspusi entwickelt, mit einer Flötistin. Die Marlies hat das natürlich nach einer Weile auch mitbekommen, es gab aber keinen Streit. Er hat sie auch nie geschlagen Marco presste die Lippen zusammen. …zumindest nicht mit Händen, aber dafür ganz sicher mit Worten. Vorwürfe, Lieblosigkeit, Gleichgültigkeit, Desinteresse, Kälte Die Hedwig, die Flötistin, ist halt eine junge, resche Frau, und der Karl hat geglaubt, er müsse was nachholen. Mit der Marlies war er halt fast ein halbes Leben beisammen. Gibt mehr Männern denen es so geht
Ich blickte Ali an, aber der nahm einfach meine Hand. Marco wirkte betroffen auf uns, aber er ließ sich Zeit diese Geschichte zu erzählen. So, als mache sie ihm selber noch zu schaffen na ja, man hat schon gemerkt, dass es der Marlies nicht gut ging. Immer dünner ist sie geworden, ganz blass und alle haben geglaubt, das ist der Kummer wegen dem Karl, weil er fremd ging und sich einen Dreck darum geschert hat, wie es ihr ging. Arbeiten gehen hat er sie auch nicht lassen, obwohl sie das wollte . Marco seufzte. Er war total in die Geschichte eingetaucht und ich war mir nicht sicher, ob er immer wusste, dass wir bei ihm saßen und zuhörten. schließlich ist sie zusammengebrochen, als sie die Kleine vom Kindergarten abholen wollte. Der Notarzt kam und man brachte sie ins Spital in die Kreishauptstadt. Als sie dem den Karl deswegen in der Firma angerufen haben, hat er einen Wutanfall bekommen, weil er aus der Arbeit musste. Für ihn war das nur lächerliches Getue. Im Spital ist ihm dann aber das Toben vergangen
Marco ballte in Erinnerung die Faust, sein Gesicht war weiß geworden. Die Marlies hatte Magenkrebs, ganz weit fortgeschritten, überall im Körper Metastasen, und muss seit Monaten immer wieder furchtbare Schmerzen gehabt haben. Aber sie hat nie was gesagt, hat sich in ihre eigene Welt geflüchtet und geglaubt, sie wird damit fertig. Und dem Karl ist ja nie was aufgefallen, dem war sie längst egal. Mir fiel auf, dass Marco nur mühsam seine Wut unterdrücken konnte. Was da mit seiner Schwägerin passiert war, nahm ihn verständlicherweise mit. Im Spital hat ihn dann aber fast der Schlag getroffen, er wollte es nicht und nicht glauben, er stritt mit den Ärzten, dass sie ihn fast aus dem Spital geworfen hatten. Plötzlich wollte er alle Hebel in Bewegung setzen, sie zu retten, aber es war zu spät, viel zu spät
Wir schwiegen. Mir war kalt geworden, und Ali drückte meine Hand fest. Nach einer halben Ewigkeit nahm Marco wieder den Faden auf. das war vor bald zwei Jahren, ein halbes Jahr später ist die Marlies gestorben. Immerhin tat der Karl bis dahin alles, um es ihr leichter zu machen. Zwei Pflegerinnen der Karl is ja ein Geldiger! kümmerten sich rund um die Uhr ums sie, er war sogar bei einer Art Wunderheiler nicht weit von hier, aber es hat alles nur das Leiden gemildert, mehr nicht. Sie wollte nicht mehr leben, wisst ihr, nicht einmal mehr wegen der Kinder. Marco blickte uns an. …aber sie hat ihm verziehen, sie hat Frieden mit ihm gemacht, aber die Bärbel nie. Nein. Für die Bärbel ist er der Mörder ihrer Schwester
Rasche Schritte auf dem Flur ließen uns aufhorchen. Marco setzte sich kerzengerade auf und wandte sich flüsternd an uns. Kein Wort zu ihr, ja? Bärbel öffnete die Wohnzimmertür. Ihr seids ja so stad. Gibts leicht Streit? Marco schüttelte energisch den Kopf. Nein, nein, aber wir haben grad überlegt, welchen Wein wir heut Abend trinken. Ich hol einmal ein paar Flaschen hoch zum Kosten Bärbels Blick schweifte zwischen uns und ihrem Mann hin und her, ich bin mir sicher, sie spürte genau, dass da etwas vor ihr verheimlicht wurde. Aber sie sagte kein Wort und begann den Tisch abzuräumen In ihrer Familie wurden wohl nie große Worte gemacht, und ihrer Schwester war diese Neigung zum Verhängnis geworden.
Nach einer wahren Geschichte .
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