Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  August 2004



Weil ich es mir merken muss…

Mir ist oft kalt.
Wenn ich im Bett liege, stehen meine Füße aus.
Und das Nachthemd ist auch zu kurz.
Das passt schon noch, sagt meine Mama und deckt mich zu.
Und meine Füße sind so kalt.
Ich trau mich gar nicht mich umzudrehen.
Denn dann friere ich noch mehr.
Ich hab auch Angst, dass ich krank werde.
Als ich das letzte Mal krank war, hab ich im Bett gespieben.
Meine Mama hat furchtbar geschimpft mit mir.
Sie hat gesagt, das ist eine Sauerei.
Dann hat sie den Papa geholt.
Der hat auch geschimpft.
Dann haben sie mir beide ein paar runtergehaut.
Und sie haben gesagt, zur Strafe muss ich so liegen bleiben.
Damit ich es mir merke.
Es hat furchtbar gestunken und mir ist ganz schlecht geworden.
Beinahe hätte ich wieder gespieben.

Neulich hab ich mir ein Kekserl genommen.
Ich hatte solchen Hunger.
Oft bekomme ich gar keine Jause mit.
Mama und Papa haben kein Geld, sagen sie.
Brot ist wirklich nicht oft da.
Aber viele Bierflaschen stehen im Kühlschrank.
Die trinkt Papa, wenn er heimkommt.
Und dann kriegt er immer ganz komische Augen.
Manchmal möchte er dann, dass ich zu ihm ins Bett komme.
Aber Mama sagt, dass ich noch zu klein dafür bin.
Dann hab ich Angst.
Ich weiß ja nicht, wofür ich zu klein bin.
Ich hab dann auch immer so ein komisches Gefühl.

Als ich das Kekserl genommen hab, hatte ich auch Angst.
Einmal hat mich die Mama erwischt, wie ich ein Stück Wurst aus dem Kühlschrank genommen habe.
Da hat sie mich mit dem Kleiderbügel geprügelt, bis ich am ganzen Rücken blau war.
Damit ich es mir merke, hat sie gesagt.
Sie hat es auch dem Papa erzählt.
Der hat mir mit der Faust ins Gesicht geschlagen.
Meine Nase hat geblutet.
Trottel, hat meine Mama dann zu ihm gesagt.
Jetzt müssen wir sie von der Schule daheim lassen.
Sonst merken die noch was.
Der Papa hat gelacht.
Die sollen ruhig kommen, wenn sie sich trauen, hat er gerufen.

Neulich hat mich meine Mama in den Kasten gesperrt.
Ich hatte zwei Fünfer in der Schule.
Du bist zu dumm! hat sie mich angeschrieen.
Ich kann nicht mit dir lernen, du musst das schon selber kapieren!
Sie hat mir mit der Hand ins Gesicht geschlagen.
Ganz fest.
Und dann hat sie mich in den Kasten gesperrt.
Ich bin halt zu dumm.
Mama hat ganz sicher Recht.
Stunden war ich im Kasten.
Ich hatte Angst, dass ich mir in die Hose mache.
Ich musste schon so notwendig aufs Klo.
Mama, ich muss auf’s Klo! hab ich nach ihr gerufen!
Mama, bitte!
Mama hat gelacht.
Weh dir, wenn du reinmachst!
Du bleibst schon noch eine Weile drinnen.
Dann merkst du es dir wenigstens.

Gestern hat mich der Papa ganz fest geschlagen.
Er hat gesagt, ich soll ich ihm eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank holen.
Aber die Flasche war so kalt, da ist sie mir runtergefallen.
Auf dem Boden zerbrach sie in 1000 Stücke.
Du Trampel! hat der Papa gebrüllt.
Bist du dafür auch zu blöd?
Dann hab ich seine Fäuste am Kopf und im Bauch gespürt.
Meine Nase hat wieder geblutet.
Und mein Bauch hat furchtbar wehgetan.
Heute Morgen hab ich Mama gesagt, dass mir ganz schlecht ist deswegen.
Nix da, du bist nur zu faul, hat die Mama geschimpft und mich bei den Haaren gezogen.
Kriegst gleich wieder eine Watsch’n wenn du lange jammerst.
In der Schule sind die Schmerzen immer ärger geworden.
Meine Frau Lehrerin hat mich gefragt, warum ich so blass bin.
Ich hab nichts gesagt.
Schließlich weiß ich, dass Mama und Papa ganz wütend werden, wenn ich erzähle, was war.
Aber plötzlich bin ich vom Sessel gefallen.
Und dann weiß ich nichts mehr.
Als ich wach wurde, war ich im Spital.
Ein netter Arzt war bei mir.
Er hat mich gefragt, ob mich meine Eltern immer schlagen.
Ob sie mir sehr wehtun.
Und ob der Papa schon schlimme Dinge mit mir gemacht hat.
Ich hab geweint und ihm gesagt, dass ich selber Schuld bin.
Ich bin zu blöd und ich muss es mir endlich merken.
Da hat der Arzt ganz ernst geschaut und meine Hand gedrückt.
Dich wird niemand mehr schlagen, hat er gesagt…

Aus aktuellem Anlass…

Vivienne

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