von Vivienne – März 2004
Äußerlichkeiten
Ich bin nicht schön.
Keine Modelmaße.
Breite Hüften.
Wie ein Schwimmreifen.
Sag ich selbst.
Eher klein.
Kurze Beine.
Keine ebenmäßigen Maße.
Im Vergleich zu einem Starlett steige ich schlecht aus.
Männer schauen mir nicht nach.
Nein.
Stimmt nicht ganz.
Zumindest nicht oft.
Ich bin auch nicht sportlich.
Ich hasse Fitness-Center.
Und Leute, die sich dort regelmäßig herumtreiben.
Lächerlich.
Auf der Jagd nach dem perfekten Körper.
Nach der ewigen Jugend.
Natürlich sind diese Menschen schlank.
Können tolle Kleider tragen.
Und sehen superbe darin aus.
Im Gegensatz zu mir.
Mein Hintern ist in keiner Hose zu übersehen.
Obwohl ich mich seit Weihnachten regelmäßig einem Crosstrainer unterwerfe.
Manches Kilo ist gepurzelt.
Von der Idealfigur bin ich trotzdem weit weg.
Eine Teiletappe.
Wie eine Talstation auf dem Weg zum Mont Everest.
Weit, weit weg vom Ziel.
Natürlich ist nicht alles unschön an mir.
Kein einziges graues Haar.
Darauf bilde ich mir etwas ein.
Aber in einer Gesellschaft der wie wild färbenden Friseure fällt das nicht weiter auf.
Wunderschöne blaue Augen.
Aber Linsen gibt es heute schon in allen Farben.
Heute grün.
Morgen braun.
Nächste Woche blaugrau.
So einfach geht das.
Dass ich für mein Alter wenig Falten habe
Wem fällt das auf, der mich schon wegen meiner Figur oberflächlich kategorisiert hat?
Unattraktiv.
Unscheinbar.
Halt.
Unscheinbar bin ich nicht.
Aber das fällt den meisten erst auf dem zweiten Blick auf.
Oder dem dritten.
Vielleicht nie.
Warum ich das erzähle?
Unsere Gesellschaft hat eine künstliche Welt aufgebaut.
Eine Welt mit ebenmäßigen Menschen.
Fast kalt.
Schönheitsideale.
Ziemlich krank.
Werbung mit perfekten Models.
Knackigen Hintern.
Großen Brüsten.
Wespentaillen.
Langen Beinen.
Die uns suggerieren, auch so zu werden.
Uns weismachen, dass darin der Stein der Weisen liegt.
Und alles Glück der Welt.
Ein fadenscheiniges Glück.
Das rein auf Äußerlichkeiten ruht.
Äußerlichkeiten, die hart erkauft sind.
Diäten.
Training.
Fettabsaugung.
Schönheitschirurg.
Kosmetikerin.
Beauty-Farm.
Ganze Industrien verdienen daran.
Damit wir jung und schön bleiben.
Als wäre es das einzig Erstrebenswerte.
Und trotzdem bleiben wir die, die wir sind.
Verletzbar.
So ist auch das Glück.
Das wir meinen, damit zu erkaufen.
Zerbrechlich.
Wie Glas.
Oder feinstes Porzellan.
Eigentlich auch erlogen.
Wir lieben nicht mehr den Menschen.
Wir lieben Larven.
Hüllen.
Eben Äußerlichkeiten.
Jeder Single sucht nur Äußerlichkeiten.
Hören sie doch den Leuten zu!
Schlank.
Attraktiv.
Sportlich.
Jung.
Einfach schön.
Und wer sucht noch einen Menschen zum Lieben?
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