Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  September 2004



Flucht aus dem Alltag

Alles Routine.
Und doch auch nicht.
Ich spüre, dass etwas nicht stimmt.
Ich spüre, dass ich mich verändere.
Und ich spüre, dass mich die Routine festhält.
Ich kann mich nicht entfalten.
Ich meine zu ersticken.
Ich kann nicht mehr so wie bisher.
Ich will nicht mehr.
Meine Kraft – wie ausgesogen.
Manchmal möchte ich aufspringen.
Und davonlaufen.
Einfach so.
Irgendwo hin.
Ich kann nicht mehr.
Und ich weiß nicht genau warum.
Ich bin verletzbar.
Andere sind verletzbar.
Rund um mich.
Empfindsam und gleichzeitig ohne Verständnis
Ohne Verständnis für den anderen.
Selber legt man jedes unbedachte Wort auf die Waagschale.
Mein Gott, bin ich getroffen!
Doch fährt man selber oft harte Bandagen gegen die anderen.
Ohne es zu merken.
Ohne es zu wollen.
Ich spüre wie die Fronten verhärten.
Bei mir selber.
Und bei denen, die ich liebe.

Ich habe einen Schlussstrich gezogen.
Ein Fels, der mich nach unten zog.
In die Fluten des Trübsinns und der Lieblosigkeit.
Nichts wird mehr sein, wie es war.
Ich weiß es jetzt schon.
Aber ich musste es tun.
Ich wäre sonst ertrunken.
In einem Meer aus Tränen…
Vieles wird sich ändern.
Leid macht oft bereit für tiefere, schönere Dinge.
So sagt man.
Aber an dem Punkt, an dem ich jetzt stehe, erkennt man das nicht.
Egal.
Ich gehe weiter.
Schritt um Schritt.
Und stehe immer wieder auf, wenn ich falle.
Auch wenn ich nicht immer weiß, warum.
Ich kenne nichts anders.

Hin und wieder träume ich diesen Traum.
Dann sitze ich in einem Zug.
Die Fahrt geht lange gemächlich dahin.
Aber plötzlich stellt jemand die Weichen um.
Zuerst merke ich nichts.
Oder nicht viel.
Aber dann wird die Fahrt immer schneller.
Ich merke, dass ich in unbekanntes Land fahre.
Nichts mehr ist vertraut.
Wenn ich aus dem Fenster blicke, rast alles an mir vorbei.
Nichts kann ich festhalten.
Nichts was ich liebe.
Nichts was mir gefällt.
Nichts, an dem mein Herz hängt…

Mein Leben ist es, das da an mir vorbeirast.
Verzweifelt suche ich die Notbremse.
Ich laufe durch den Waggon.
Suche in jedem Winkel.
Aber ich finde sie nicht.
Nirgends wo zu finden.
Aber plötzlich bleibt der Zug stehen.
Mit einer ruckartigen Notbremsung.
Ich stürze zu Boden.
Wage es fast nicht aufzustehen.
Schließlich steige ich aus.
Und traue meinen Augen nicht.
Der Zug steht am Abgrund.
Zentimeter vor einer kaputten Brücke.
Und ich bin ganz allein.
Völlig allein im Zug.
Kein Zugführer…
Dann begreife ich.
Niemals darf ich mein Leben so entgleiten lassen.
Niemals…
Ich selber bin der Zugführer meines Lebens.

Ich habe einen Schlussstrich gezogen.
Es wird noch andere geben.
Durch so manche Tür möchte ich nie wieder gehen.
Einfach absperren und den Schlüssel wegwerfen.
Abgründe meiner Seele.
Selbsttäuschung.
Betrug.
Eines führt zum anderen.
Das eine funktioniert nicht ohne das andere.
Es gehören immer zwei dazu.
Zur Liebe.
Zur Freundschaft.
Oder zur Täuschung.
Zur berechnenden Täuschung…
Narben bleiben.
Die vielleicht nie völlig verheilen.
Und immer wieder zu eitern beginnen.
Liebe vermag zu heilen.
Doch kann ich Liebe überhaupt noch zulassen?
Nach diesen Erfahrungen?
Wenn ich es nicht versuche, werde ich es nie wissen…

Vivienne

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