Katzen sind im Grunde ihres Wesens Jäger. Vielleicht sind nicht alle Raubtiere, wie mein Stocki, aber doch Tiere mit einem ausgeprägten Jagdinstinkt. Dabei spielt es keine große Rolle, ob eine Katze nun einem Wollknäuel, einer Gummimaus oder einem Käfer nachjagt. Auch mein Stocki hat klein angefangen, ich erinnere mich gut, wie er begann, Schmetterlinge zu erhaschen. Und als ich neulich die kleine Susi mit dem Regenwurm kämpfen sah, der sich schließlich erfolgreich dagegen zur Wehr setzte, verspeist zu werden, fiel mir wieder ein: Stocki hatte doch in seiner Jugend einmal ein ähnliches Jagderlebnis gehabt. Sehr bemüht, sehr engagiert, aber doch vergeblich – denn das auserkorene Opfer war ein Frosch…
Diese Geschichte fällt in das erste Lebensjahr unseres roten Tigers, muss also an die zehn Jahre zurückliegen. Stocki konnte damals fast das Paradies auf Erden bei uns genießen, er war ein kleiner, verspielter Kater, der im ersten Sommer seines Lebens erfolgreich unseren Garten eroberte und damit alles Getier zu seiner Beute erklärte, das sich dort aufhielt. Und das war allerhand, denn neben Blindschleichen, jeder Menge größerer und kleinerer Käfer, Würmern und natürlich Mäusen waren dort auch immer wieder Frösche und Kröten anzutreffen. Und an jenem sonnigen Augustmorgen, als ich Stocki zur Fütterung ins Haus holen wollte, war dieser einmal mehr im Blumenbeet eifrig beschäftigt.
Neugierig trat ich näher. Immer wieder konnte ich dieselbe Szene vor mir beobachten. Stocki schüttelte sich, anscheinend angewidert, dann trat er wieder ein paar Schritte nach vor, schien etwas rasch abzulecken um es mit dem Kiefer packen zu wollen. Dann legte er aber wieder sehr rasch und mit dem Ausdruck größten Widerwillens den Rückwärtsgang ein. Aber eben nur kurz. Stocki ließ nicht locker und schließlich konnte ich unter den Blumen ausmachen, was er da unerschrocken fressen wollte: es war ein kleiner, grüner Laubfrosch, niedlich anzusehen, und er saß ziemlich unberührt unter den Halmen und Stängeln. Schließlich durfte er auf die Sekrete vertrauen, die die Drüsen in seiner Haut absonderten, und die ihn ziemlich ungenießbar machten. Vor allem für eine Katze…
Ich musste schmunzeln. Natürlich verstand Stocki nicht, was ihm da widerfuhr. Sein Jagdtrieb signalisierte ihm in dem Frosch eine Beute, die er erlegen konnte. Seine beleidigte Zunge machte ihm aber unmissverständlich klar, dass mit diesem Tier etwas nicht in Ordnung war. Den ekelhaften Geschmack konnte er sich nicht erklären – wie denn auch? Drüsen und Sekrete waren ihm nicht bekannt, und dass jede Katze in seinen Lebensumständen irgendwann in ihrem Leben diese oder eine ähnliche Erfahrung macht, hätte ihn wohl kaum getröstet. Fasziniert beobachtete ich das Schauspiel vor mir, und die stoische Ruhe des Frosches, der sich kaum bewegte, flößte mir fast etwas wie Respekt ein.
Schließlich fiel mir aber wieder ein, warum ich eigentlich nach draußen gegangen war. Stockis Futterschüsseln waren ja prall gefüllt! Ich begann nach dem Kater zu rufen! Stocki schien mich nicht zu hören. Verdattert starrte er wieder auf den Frosch, er hatte keine Augen und Ohren für irgendetwas anderes, ähnlich wie Susi neulich mit ihrem Regenwurm. Aber ich hatte keine Zeit mehr, der Szene zuzusehen. Und ich wollte nicht warten, bis Stocki selber das Handtuch warf. Ich packte den Kater von hinten, hob den heftig protestierenden und kratzenden hoch und ging mit ihm ins Haus. Schließlich lief der Rote willig zu seinen Schüsseln, aber wie ich fast vermutet hatte: er schleckte sich ständig um das Maul und schien den ekelhaften Froschgeschmack noch nicht losgeworden zu sein. Er begann Milch zu schlabbern und ließ es doch wieder bleiben. Mehr als ein paar Bissen Futter schienen ihm auch nicht zu behagen.
Ich konnte diese Unlust nachvollziehen. Aber der grausliche Geschmack würde sich legen, wahrscheinlich im Lauf der nächsten Stunden, und Stocki konnte aus dieser unangenehmen Erfahrung lernen. In Hinkunft, begann ich zu überlegen, würde er dem Frosch und seinen Artgenossen sicher aus dem Weg gehen. War vielleicht auch gut, wenn er sich mehr auf Mäuse konzentrieren würde – so oder ähnlich waren damals meine Gedanken. Wer hätte schon gedacht, dass der Kater auch einmal vor weitaus größerem Getier nicht zurückschrecken würde! Später, viele Jahre später…
Vivienne