Tribut

Wie geht es ihr?
Katrin flüsterte.
Sie hatte die Tür zum Schlafzimmer ihrer Schwägerin geschlossen.
Vorsichtig.
Ihre Stimme hatte einen leicht besorgten Klang angenommen.
Der Arzt räusperte sich.
Ein wenig Fieber.
Vergangene Nacht war es ziemlich hoch.
Zu hoch.
Das darf nicht mehr passieren.
Sie ist ein wenig angeschlagen.
Ein grippaler Infekt.
Nicht mehr.
Aber behalten Sie das Fieber im Auge!
Katrin nickte.
Sie sah zu wie Dr. Grabner den Mantel anzog.
Und mit seiner Tasche hinausging.
Dann seufzte sie tief und laut.
Sie musste Hermann anrufen.
Ihren Bruder.
Er würde wissen wollen wie es seiner Frau ging…
Natürlich.
Morgen würde er aus dem Spital entlassen werden.
Nach dem schweren Unfall.
Den Wochen zwischen Hoffen und Bangen.
Den zwei großen Operationen.
Und nun konnte ihn Sarah nicht einmal selber aus dem Spital abholen.
Sarah, seine Frau.
Die sich die ganze Zeit um alles gekümmert hatte.
Die nie die Hoffnung aufgegeben hatte.
Und nun war sie krank geworden.
Seltsam.
Jetzt, wo alles ausgestanden zu sein schien.
Hermann wieder gesund geworden war.
Fast besser beisammen war als zuvor.
Wie ihr Bruder erst neulich beteuert hatte.
Mit einem breiten Lächeln…
Seltsam…

Dr. Grabner verstaute seine Tasche im Kofferraum.
Dann stieg er in den Wagen ein.
Schnallte sich an.
Und dachte an Sarah Schweiger.
Nein.
Es erstaunte ihn nicht, dass sie krank geworden war.
Nach den Wochen.
In denen sie immer funktionieren hatte müssen.
Zwischen dem Spital und dem Job gependelt war.
Oft Nächte nicht geschlafen hatte.
Er hatte ihr immer wieder Schlafmittel verschrieben.
Und Beruhigungsmittel.
Keiner hatte das geahnt.
Aber sonst hätte sie diese Belastung wohl nicht durch gestanden.
Nie.
Und keiner hatte ihr das angesehen.
Eine Frau, die immer funktioniert hatte.
Die sich aufgeopfert hatte.
Für ihren Mann im Besonderen.
Aber auch für den Job…
Dr. Grabner drehte den Zündschlüssel um.
Trat die Kupplung durch.
Aber der Einbruch kam.
Weil er kommen musste.
Sarah Schweiger war krank geworden.
Fiebrig.
Eine Erkältung.
Nichts Schlimmes.
Zumindest, wenn man sie im Auge behielt.
Aber einmal mehr der Beweis.
Ein Mensch ist keine Maschine…

Sarah blinzelte.
Sie musste geschlafen haben.
Wann war Dr. Grabner da gewesen?
Sie wusste es nicht mehr.
Sarah richtete sich im Bett halb auf.
Stöhnte leise.
Sie fühlte sich so kraftlos.
Und ihre Glieder schmerzten.
Sie war so müde.
Warum sie jetzt nur krank geworden war?
Jetzt.
Wo Hermann endlich gesund geworden war.
Endlich.
Nach fast zwei Monaten.
Sie verstand das gar nicht.
Hoffentlich war Hermann nicht enttäuscht.
Wenn sie ihn morgen nicht abholen konnte.
Jetzt.
Nachdem sie ihn jeden Tag im Spital besucht hatte.
Jeden Tag eine Stunde oder länger.
An seinem Krankenbett verbracht hatte.
Ihm die Hand gehalten hatte.
Ihm gut zugeredet hatte.
Obwohl ihr selber nach Weinen gewesen war…
Es war nicht leicht gewesen.
Sie hatte abgenommen.
Und ihre Haare waren grauer geworden.
Merkbar.
Aber sie würde zum Friseur gehen.
Wenn sie erst wieder gesund war.
Der Friseur.
Er würde alles in Ordnung bringen…
Sarah lächelte müde.
Darauf freute sie sich schon.
Und natürlich auf Hermann.
Morgen Vormittag.
Wenn er endlich wieder daheim sein würde…!

Vivienne

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