Daniel dämpfte die Zigarette geräuschvoll aus.
Stand langsam auf.
Winkte dem Kellner in der Bar.
Drückte ihm ein paar Geldscheine in die Hand.
Wortlos.
Und wandte sich zum Ausgang.
Daniel seufzte.
Die kühle Nachtluft umfing ihn.
Er hatte keine Lust heimzufahren.
Nicht die geringste.
Er war auch nicht müde.
Aber das Lokal würde gleich zusperren.
Und wo sollte er sonst noch hin…
Diese Nacht…
Sonja würde daheim nicht auf ihn warten.
Nie mehr…
Und er verstand nicht warum.
Nicht wirklich…
Seine Schritte hallten in der leeren Straße.
Daniel überlegte.
Sollte er sich ein Taxi rufen?
Er war nicht müde.
Aber zu seiner Wohnung war es wohl noch fast eine halbe Stunde.
Und das alles zu Fuß?
Vorne am Schillerplatz standen immer Taxis.
Er beschleunigte seinen Schritt.
Tatsächlich.
Es war fast drei Uhr früh.
Aber dort standen noch zwei.
Wortlos stieg er in das erste ein.
Freistädterstraße.
Der Fahrer nickte.
Und drehte den Zündschlüssel um.
Waren Sie auch beim Konzertereignis des Jahres?
Die Stimme des Taxlers klang oberflächlich.
Daniel dachte einen Moment nach.
Richtig.
Bon Jovi hatten gestern Abend im Stadium aufgespielt.
Er schüttelte den Kopf.
Ihm war nicht nach reden.
Aber der Fahrer plauderte munter weiter.
Muss toll gewesen sein.
Hatte einige Fuhren heute deswegen.
Die waren einfach begeistert…
Unwillig runzelte Daniel die Stirn.
Das Geplapper des Fahrers ärgerte ihn.
Was interessierten ihn irgendwelche Rocker?
Sonja war weg.
Sonja hatte ihn verlassen.
Gestern.
Und sie wollte ihn nie mehr sehen…
Daniel schreckte auf.
Der Fahrer blickte ihn irritiert an.
Offenbar hatte er ihm gerade eine Frage gestellt.
Daniel holte tief Luft…
Sorry.
Ich bin kein guter Gesprächspartner heute Nacht.
Hören Sie zu.
Meine Freundin hat mich verlassen.
Einfach so…
Das heißt…
Daniel unterbrach sich.
Das stimmte nicht ganz.
Sonja hatte ihn nicht einfach so verlassen.
Sie hatte schon einen Grund gehabt…
Der Taxifahrer nickte.
Ich verstehe.
Sie hatten Streit.
Aber das wird wieder.
Glauben Sie mir.
Ich hatte schon viele Fuhren.
Männer, die ich heimbrachte.
Ihre Frauen waren weg.
Oder auch verlassene Frauen.
Das wird wieder…!
Seine Stimme klang betont fröhlich.
Kopf hoch.
Schlafen Sie mal drüber.
Und morgen oder übermorgen rufen Sie sie wieder an.
Dann schaut die Welt anders aus…
Daniel lächelte gequält.
Der Kerl verstand überhaupt nichts.
Und vor allem kannte er Sonja nicht.
Was ahnte der denn, wie verletzt sie war.
Sonja war eigen.
Sehr eigen sogar.
Wenn es um ihre Geheimnisse ging…
Der Taxifahrer plauderte munter weiter.
Ab und zu wandte er sich direkt an Daniel.
Daniel sagte nicht viel.
Er dachte an Sonja.
Und wie sie ihm am Beginn ihrer Beziehung erzählt hatte.
Nein.
Mehr wohl gebeichtet.
Ich war drogensüchtig.
Über ein Jahr.
Ich hatte auf der Schule die falschen Freunde.
Sie zogen mich runter.
Aber ich kam wieder los.
Und fing hier neu an…
Sonja hatte ihn ängstlich angesehen.
Du musst mich so nehmen wie ich bin.
Ich habe eine Vergangenheit…
Daniel erinnerte sich.
Er war betroffen gewesen.
Aber auch gerührt.
Wie viele Frauen hätten so etwas verschwiegen…!
Schließlich hatte er sie in den Arm genommen.
Das war schließlich vorbei gewesen…
Der Taxler warf Daniel einen Seitenblick zu.
Welche Hausnummer sagten Sie?
Daniel räusperte sich.
Sein Hals war plötzlich wie zugeschnürt gewesen.
215.
Dort vorne.
Sehen Sie das Haus neben den Bäumen?
Minuten später hielt das Taxi.
Daniel zahlte nachdenklich…
Fast glaubte er Sonja zu spüren.
Dass sie auf ihn wartete.
Über fünf Jahre waren sie beisammen gewesen.
Sonja und er.
Und sie wären es wohl noch immer…
Kurt war so ein neugieriger Typ.
Immer diese Fragen.
Warum trinkt Sonja eigentlich nie etwas?
Kein Sekt, kein Wein?
Das ist doch seltsam!
Und sagtest du nicht selber:
Schmerzmittel nimmt sie auch keine?
Ist sie krank?
Und neulich hatte er, Daniel, nachgegeben.
Warum sollte es auch keiner wissen.
Sonja hatte es schließlich geschafft.
Er hielt nichts von Geheimniskrämerei.
Obwohl er es Sonja geschworen hatte…
Kurt, der Idiot!
Bei der erst besten Gelegenheit hatte er Sonja darauf angeredet!
Plump und penetrant.
Und das war gestern Abend gewesen.
Als Kurt Sonja in der Stadt getroffen hatte…
Daniel sperrte die Haustür auf.
Drehte das Licht im Flur auf.
Sonjas Parfüm hing noch in der Luft.
Pleasures.
Er liebte diesen Duft.
Der war so unbeschwert.
So frühlingshaft.
So wie ewig jung und doch auch zerbrechlich…
Wie eine kostbare Blume.
Sie war gegangen.
Sie hatte ihn verlassen.
Mit Recht?
Hätte er schweigen müssen?
War es nicht lächerlich gewesen darauf zu beharren?
Sonja war verloren.
Verloren für immer.
Sie würde ihre Meinung nicht ändern.
Sie fühlte sich verraten.
So sehr, dass sie alles hingeworfen hatte…
Fünf Jahre und ihre Liebe…
Einfach weg.
Alles verloren…
Vivienne