Von Ärzten und Tennisspielern – Geschichten aus Absurdistan

Kürzlich konnte ich Ihnen an dieser Stelle von einem Arzt bereichten, der sich zutraute, aus ein paar Metern Entfernung zur Patientin die Diagnose eines möglichen Schlaganfalls zu stellen. Diese fieberte jedoch nur sehr stark, und musste letztlich nicht einmal stationär ins Spital aufgenommen werden… Heute möchte ich Ihnen, liebe Leser, von einem anderen Arzt berichten, der – ebenfalls aus der Provinz – noch unorthodoxer bei seinen Behandlungen vorgeht. Noch unorthodoxer? werden Sie vielleicht fragen. Unglaublich aber wahr, es gibt eine Steigerung…

Ernst Sandler arbeitet an diesem Frühsommerwochenende im Garten. Die Hecke muss bearbeitet werden, und Herr Sandler gerät dabei ordentlich ins Schwitzen. Als er gegen zwölf ins Haus geht um für das Mittagessen seine Arbeit kurz zu unterbrechen, spürt er plötzlich ein Jucken am Hals. Mechanisch greift der Mann an die Stelle und spürt eine Erhebung. Er läuft ins Bad und sieht im Spiegel, dass sich am Hals eine Zecke in ansehnlicher Größe festgesaugt hat. Sandler ruft nach seiner Frau. Mit etwas Öl und einer Pinzette entfernt diese den Schmarotzer. Die Haut bleibt an der Stichstelle leicht gerötet. Sandler wird bewusst, dass er nicht gegen Gehirnhautentzündung geimpft ist. Und auch wenn die Gefahr einer Infizierung in dieser Gegend eher gering ist – der Mann möchte kein unnötiges Risiko eingehen.

Er greift nach der Wochenendausgabe seiner Zeitung und sucht sich den Dienst habenden Arzt für dieses Wochenende heraus. Dann steigt er ins Auto und fährt zu dem Mediziner – er weiß ungefähr, wo der seine Ordination hat. Das Mittagessen muss auf jeden Fall warten, denn die passive Immunisierung ist jetzt sicher dringender… Ernst Sandler läutet nach kurzer Fahrt an der Tür. Die Gattin des Arztes öffnet ihm und Sandler erklärt ihr kurz die Situation. „Ist der Herr Doktor zu sprechen?“ Die Arztfrau schüttelt den Kopf. „Mein Mann ist auf dem Tennisplatz!“ Sandler sieht die Frau ungläubig an. „Und kann er nicht kommen?“ Die zuckt lakonisch mit den Schultern. „Fahren Sie doch auf den Tennisplatz! Er wird sich sicher Zeit für Sie nehmen!“ Sandler glaubt nicht richtig zu hören. Hat dieser Arzt nun Bereitschaft oder nicht?

Ungehalten steigt wieder er in seinen Wagen und fährt knapp zehn Minuten zum örtlichen Sportplatz, wo auch der Tennisverein ansässig ist. Zwei Spieler tummeln sich auf dem Platz. Sandler kommt sich vor wie ein Idiot. Soll er jetzt auf den Platz gehen und fragen, wer der Arzt ist? Mit einer ordentlichen Portion Ärger wartet er den Ballwechsel ab und fragt tatsächlich, ob der Herr Doktor zu sprechen ist. Sandler hat Glück, einer der beiden Männer ist tatsächlich der gesuchte Mediziner. Mit verschwitztem Gesicht und in Tenniskleidung wirft er kurz einen Blick auf die Stichstelle und schreibt Sandler ein Rezept für die Injektion aus, die der ungehaltene Mann benötigt. Immerhin hat der Herr Doktor wenigstens seine Arzttasche mit auf den Platz genommen…

Sandler weiß seinen Unmut kaum in Worte zu kleiden. Er besorgt in der Apotheke der Bezirkshauptstadt das Gewünschte und braust dann wieder auf den Tennisplatz. Und mittlerweile sind fast fünfzig Minuten vergangen, seit er sich auf den Weg zu diesem merkwürdigen Arzt gemacht hat. Der Herr Doktor ist wieder in einen hitzigen Ballwechsel verwickelt, als Sandler endlich am Tennisplatz eintrifft. Der Arzt wischt sich kurz die schweißnasse Stirn mit einem Handtuch trocken, dann darf Ernst Sandler neben dem Tennisplatz und stehend den Ärmel hochkrempeln, die Haut wird kurz gesäubert und dann erhält Herr Sandler endlich seine passive Immunisierung gegen den Zeckenstich. Sogar ein Pflaster hat der Herr Doktor für seinen Patienten, dann geht das Match auf roter Asche wieder weiter. Sein Partner hat in der Zwischenzeit geduldig gewartet…

Ein Märchen? Mitnichten! Diese und ähnliche Geschichten gehören zum Praxisalltag eines Mühlviertler Arztes, der – zumindest meiner Meinung nach – besser Tenniscrack geworden wäre als Mediziner. Für seine Wochenenddienste stellt der gute Mann jedenfalls nicht mehr Zeit zur Verfügung als unbedingt nötig – schließlich geht ihm der weiße Sport über alles! Aber fragen Sie ruhig einmal seine Patienten nach Details! Und wenn Sie mich so direkt fragen: irgendwie hat dieser Mann nicht ganz kapiert, worum es in seinem Job wirklich geht…

© Vivienne

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