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22.08.2005, © Vivienne

Das Miststück

Ich weiß nicht, wie Sie das sehen – unsere Generation wurde eigentlich noch in dem Sinn erzogen, dass ein gebundener Mann oder eine gebundene Frau (je nach dem) in Sachen Liebe tabu für unsereins ist. Ich habe das auch nie bereut, weil es kaum eine schlimmere Situation gibt, als „Teilzeitfreundin“ eines Mannes zu sein, der sich nicht entscheiden kann oder besser gesagt nicht entscheiden will. Man tut sich in so einer Situation selber keinen Gefallen. Und einmal abgesehen davon: Selber wäre man als die „Hauptfrau“ des unentschiedenen Mannes auch nicht glücklich. Trotzdem gibt es aber noch genug Frauen, die eine offensichtlich fixe Bindung einfach nicht akzeptieren und sich hineindrängen wollen – aus den verschiedensten Gründen.

Unsere Nachbarin Frau Leitner stand neulich vor der Tür. Sie wirkte übernächtig und die Augen waren verheult. Sonntagmorgen 8:30 Uhr und ich brachte selber meine Augen nicht auf. Was wollte die gute Frau denn? „Kann ich mir eine Tasse Milch ausborgen? Wir haben vergessen uns eine Maresi zum Wochenende zu kaufen.“ Sie folgte mir in die Küche, wo ich schweigsam den Kühlschrank öffnete und ihr von unserem Tetrapack in das Häferl eingoss. Plötzlich begann Frau Leitner zu schluchzen. Sie  stellte die Tasse weg und weinte sich an meiner Schulter aus. Immerhin reichte dieser Vorstoß, dass ich wieder völlig wach wurde und überlegte, was wohl der Grund für diesen Ausbruch sein mochte.

Zehn Minuten später war Frau Leitner wieder sehr redselig geworden und ich verstand sie gut, als ich sie endlich wieder höflich aus der Wohnung hinauskomplimentiert hatte. Ihr Mann, den wir, Ali und ich, kaum kannten, wurde in der Arbeit von einer jungen Angestellten hofiert. Das gut zwanzigjährige rothaarige Luder stellte dem Mann nach, was der freundlich aber bestimmt ablehnte. Herr Leitner war ein recht biederer, leidenschaftsloser Mann, seit über fünfzehn Jahren war das Ehepaar miteinander verheiratet und hatte einen vierzehnjährigen Sohn. Zugegebenermaßen sah aber Helmut Leitner sehr gut aus. Er gehörte zu jener Sorte Männer, die erst mit grauen Schläfen und ein paar Falten im Gesicht interessant auszusehen begann. „Was ist also das Problem, wenn der Leitner eh nicht fremdgehen will, was ich sogar glaube?“ Ali gähnte lautstark.

Er war wach geworden von meinem Gespräch mit der Nachbarin und rührte jetzt ziemlich heftig im Kaffee. Verständlich. Sonntag standen wir selten vor 10:00 Uhr morgens auf, auch wenn wir, wie gestern, nur einen Fernsehabend eingelegt hatten. Ich biss in den Kuchen, den ich am Vortag gebacken hatte. „Das Mädel akzeptiert das nicht.“ Ali seufzte. „Was will sie denn tun?“ Ich legte beide Hände auf den Tisch. „Sie terrorisiert die Frau Leitner. Immer wieder ruft sie an und meldet sich einfach nicht, minutenlang. Aber wenn der Sohn zum Telefon geht, wird sofort aufgelegt. Dann hat sie die Leitner auch schon beschimpft und ihr gedroht, dass sie ihrer Liebe nicht im Weg stehen soll. Die Kleine muss ein bissl verrückt sein, wenn du mich fragst. Darauf angeredet hat sie aber Herrn Leitner gegenüber immer alles bestritten und sogar gemeint, die Frau Leitner bildet sich das nur ein. Jetzt ist die Frau Leitner mit den Nerven ziemlich am Ende. Denn das Biest ruft immer mit unterdrückter Rufnummer an – was willst du da machen?“

Ali grinste. „Mir ist da gerade etwas eingefallen. Pass auf…“ Nach dem Mittagessen ging ich zu Frau Leitner hinüber und erklärte ihr Alis Plan. Ich selber war nicht so begeistert, aber Frau Leitner strahlte plötzlich. „Sie  haben ja so Recht. Ich danke Ihnen, dass Sie mir helfen.“ Zunächst einmal hatte ich Frau Leitner gebeten, auch tagsüber den Anrufbeantworter einzuschalten und nie abzuheben, wenn kein Teilnehmer ersichtlich war. Schließlich war klar, dass das Mädel nur von der Arbeit aus anrufen würde und nur dann, wenn Herr Leitner selber noch in der Firma war. Das schränkte den Zeitraum der Belästigungen doch einigermaßen ein. Am folgenden Tag setzte sich Ali, der sich wegen eines Arztbesuches den Nachmittag überhaupt frei genommen hatte, bei Frau Leitner zum Telefon. Zu dritt lauschten wir, wie sich Ali mit überdrehter Stimme meldete. „Hier spricht Valentino, die erotische Sensation, du flirtest gerade mit mir um 1,25 Euro die Minute. Soll ich dir einheizen?“ Am liebsten hätte ich ganz laut losgelacht, aber am anderen Ende der Leitung herrschte Totenstille. Dann wurde plötzlich aufgelegt. Eine Minute später läutete das Telefon erneut. Ali wiederholte mit großem Ernst das Spielchen, nur dass diesmal noch während seines Spruches aufgelegt wurde. In der folgenden Stunde wurde sicher sieben- oder achtmal angerufen, ohne dass ein einziges Wort von Seiten des Anrufers fiel.

Frau Leitner strahlte geradezu, ihr gefiel Alis Masche gut, bis schließlich eine wohlbekannte Nummer am Display erschien. „Oh, das ist mein Mann. Da sollte ich besser abheben.“ Frau Leitner nahm den Hörer. „Leitner, guten Tag!“ Eine tiefe, sonore Stimme lachte am anderen Ende der Leitung. „Ich wusste ja, dass du dich meldest, Hermi. Aber weißt du, diese junge Mitarbeiterin von mir meinte, da würde sich eine Sexhotline melden, wenn ich dich anrufe… so ein verrücktes Huhn. Also bei dir alles in Ordnung, wie ich sehe. Was gibt’s am Abend zum Essen, mein Schatz?“ Es war schwierig, angesichts dieses Dialogs ernst zu bleiben, aber eines hatte mein Mann sicher mit diesem Streich erreicht: das liebestolle Luder würde sich wohl einige Zeit nicht bei Frau Leitner melden und diese belästigen…

Vivienne

 

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