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10.06.2005, © Vivienne

Der Herr vom Geheimdienst

Das Landleben ist sicher alles andere als fad! Wenn es auch genügend Leute gibt, die das Gefühl haben, sie könnten in der so genannten Provinz nur versauern – denen muss ich widersprechen. Auch in einer Landgemeinde kann man einiges erleben, wenn man nur die Augen offen hält. Ich habe viele Jahre meines Lebens im Mühlviertel verbracht und ganz abgesehen davon, dass die Gegend gegen ihren Ruf wunderschön ist – langweilig wird einem dort auch nicht. Dafür gibt es manches Beispiel aus meinem Leben, und wenn ich mich so zurückerinnere – am interessantesten war bestimmt meine Begegnung mit einem Secret Service Mann, und das ist kein Scherz…

Es muss an die fünfzehn Jahre her sein. Ich hatte im Spätsommer noch eine Woche Urlaub genommen, aber da es mit dem Baden wegen der gemischten Witterung nicht klappte, war ich öfter in Linz um ein wenig im Sommerschlussverkaufsangebot zu wühlen. So auch kurz vor dem Wochenende, es war Mittag und Sonne wechselte mit Wolken stetig ab. Während ich noch überlegte, ob ich nicht doch besser einen Regenschirm hätte mitnehmen sollen, fielen mir am Bahnhofsgelände zwei Mädels auf. Sie liefen auf dem Vorplatz herum und drehten sich immer wieder um, als ob sie sich vor jemand verstecken wollten. Ich beobachtete die beiden stirnrunzelnd, weil mir das Ganze so planlos erschien, wandte mich aber schließlich ab. Ich hatte doch Besseres zu tun, dachte ich mir.

Da ich noch ein wenig Zeit bis zur Einfahrt des Zuges hatte, ließ ich meinen Blick planlos schweifen. Am Eingang des Bahnhofs stand ein groß gewachsener älterer Herr, der sich etwas hilflos an seiner Tasche zu schaffen machen schien. Die beiden Mädchen konnte ich mittlerweile nicht mehr entdecken, ich machte mir auch keine Gedanken deswegen, bis mich der Mann entdeckte und mit sich selbst redend auf mich zukam. „Du fährst doch auch nach Linz?“ fragte er mich schließlich. Ich nickte, mittlerweile etwas misstrauisch geworden, obwohl ich nicht hätte begründen können, warum ich plötzlich so auf der Hut war. Ich bemerkte aber die Mädels wieder, halb versteckt hinter einem Arbeiterhäuschen am Bahnhofsplatz. Als sie den Alten erspähten, verschwanden sie wieder hinter dem Gebäude.

Aber der Mann beachtete sie gar nicht. Dafür redete er um so mehr auf mich ein. Und er kam mir bedrohlich nahe. „Gell, du kennst dich aus, du zeigst mir, wo ich einsteigen muss.“ Dann stellte er seine große Tasche neben mir ab. „Nett, dass du mir behilflich bist, du zeigst mir alles und ich kann ein wenig mit dir plaudern. Weißt du…“ Er wandte sich fast verschwörerisch an mich. „… ich bin vom Geheimdienst, in wichtiger Mission unterwegs und da kann ich jede Hilfe brauchen…“ Mir rutschte das Herz in die Hose. Jetzt verstand ich, warum die Mädels auf der Flucht waren! Die zwei hatte er doch sicher auf seiner geheimen Mission auch schon angequatscht! Nichts wie weg! war meine Devise, ich ließ den komischen Kauz stehen und ging ein Stück den Bahnsteig entlang um weiter vorne auf den Zug zu warten.

Der Zug fuhr Gott sei Dank wie auf Kommando gleich ein und ich suchte mir ein Plätzchen, möglichst weit weg von James Bonds österreichischem Kollegen, der sich zwar in Sichtweite zu mir niedersetzte, aber nicht wagte, wieder ein Gespräch mit mir zu beginnen. Zum ersten Mal sah ich mir den Mann genauer an. Er sah noch nicht wirklich alt aus, sechzig dürfte er noch nicht gewesen sein, und er war groß und kräftig gewachsen. Über der alten Jacke eines ÖBB-Fahrdienstleiters  trug er doch tatsächlich eine Signaljacke eines Pannendienstmitarbeiters. Als der Schaffner das Abteil betrat, stand er sofort auf. „Hallo Kollege! Wir haben uns lange nicht gesehen!“ Er ging selbstbewusst auf den ÖBBler zu. Dieser kontrollierte kurz meine Monatskarte, musterte den vermeintlichen Kollegen, zwinkerte mir dann zu und  begann mit dem Mann zu reden. „Haben Sie einen Fahrschein?“

Es dauerte eine Weile, bis der Kauz das richtige Ticket gefunden hatte. Einige alte Fahrscheine wollte der Kollege nämlich nicht akzeptieren. Was macht der Mann wohl in Linz? fragte ich mich auf der Fahrt in die Landeshauptstadt mehr als einmal. Auf geheimer Mission konnte ihm wahrscheinlich so manches passieren und so gutmütig wie der Schaffner würde wohl nicht jede Amtsperson den kuriosen Aufzug des Mannes und sein krauses Verhalten akzeptieren. Konnte gut sein, dass er – obwohl augenscheinlich gutmütig – sogar kurz in einem Spital auf der Psychiatrie landen würde.

Was muss wohl im Leben eines Menschen passieren, dass er derart die Bodenhaftung verliert? Der Gedanke beschäftigt mich auch heute noch bisweilen, weil hinter den augenscheinlich komischen Aspekten durchaus auch die Tragödie eines Menschen steckt, den seine Geisteskrankheit auch in die Isolation führt. Die beiden Mädels waren vor ihm geflohen und auch ich hatte mich aus dem Staub gemacht. Mochte sein Aufzug auch grotesk sein und sein Auftreten zum Lachen reizen – in gewisser Weise war er ein Ritter von der traurigen Gestalt…

Vivienne

 

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