Den Mund zu voll genommen…

Herwig Stanzer war ein Kollege von mir in einer Firma in Linz, in der ich vor etwa zwölf Jahren tätig war. Stanzer war ein Großmaul, wie es im Buche steht. Er war Weltmeister im Delegieren, vor allem auch, was die Schuld an allen Fehlern betraf, die er im Laufe der Zeit so in der Firma verbockt hatte. Selten fiel ein Schatten auf Stanzer, aber meistens mussten die ihren Kopf hinhalten, die naiv genug gewesen waren, dem gestressten Kollegen unter die Arme zu greifen. Deshalb machte auch kaum einer den Fehler zweimal – zumindest trugen sie alle den guten Vorsatz mit sich herum. Die Realität sah dann doch ein wenig anders aus, und das Organisationstalent beutelte sich üblicherweise nur ein wenig ab, wenn etwas schief ging…

Ich gebe zu, dass ich vor allem zu Beginn ein paar Mal dran glauben musste, wenn Stanzer delegierte. Als sehr gutmütiger Mensch ließ ich mich eine Zeitlang immer wieder ausnutzen. Nicht nur, dass meine eigentliche Arbeit dadurch zu kurz kam, ich musste schon ein paar Mal Schelte einstecken, wenn etwas nicht passte. Meine Schuld war das eigentlich am wenigsten gewesen, aber nach und nach kam ich dahinter, dass Stanzer, um von seinen eigenen Nachlässigkeiten abzulenken, seinen Helfern auch immer ordentlich einschenkte. Mit anderen Worten: Stanzer log und erfand vor den Vorgesetzten eine ganz andere Realität, er zog sich nicht nur geschickt aus der Verantwortung, er putzte sich auch die Schuhe ab – an den Leuten, die ihm helfen wollten.

Bei aller Naivität mit der ich geschlagen war – irgendwann ließ ich mir das nicht mehr bieten. Allerdings fehlte mir damals die Courage, Stanzer direkt damit zu konfrontieren. Ich schob immer öfter wichtige Arbeiten vor, wenn mich Stanzer wieder als Opfer auserkor. Der Herr Kollege war nicht unbedingt der Mann, der ein Nein so ohne weiteres akzeptierte, er wurde grob bis unverschämt, wenn ich mich von ihm abwandte und abblockte. Natürlich bekam ich auch Schuldgefühle, wenn mir Herwig Stanzer so kam, aber mit der Zeit wurde ich unempfindlicher – zum Glück. Mich traf also das Los nicht mehr, und mit der Situation, nicht mehr so leicht delegieren zu können, wurde der Herr Kollege nur schwer fertig.

Als Karenzvertretung schneite zu Beginn des neuen Jahres eine attraktive neue Kollegin, Helga Pacher, in unser Büro. Stanzer, der sich nicht nur für ein umwerfendes Organisationstalent hielt sondern auch für den unwiderstehlichsten Mann und besten Stecher weit und breit, war sofort wie paralysiert. Schnell begann er, sich bei der Schönheit beliebt zu machen und versuchte, bei ihr zu punkten. Die neue Kollegin gab sich allerdings etwas spröde und abweisend, und nicht nur ich hatte des Öfteren das Gefühl, als würde sie nur aus Höflichkeit mit ihm reden, denn sich näher mit ihm abgeben wollte sie sich augenscheinlich auch nicht unbedingt. Feine Signale, die Stanzer tunlichst ignorierte, auch wenn man merkte, dass er langsam ungeduldig wurde, weil sich die Schöne nicht erweichen ließ…

Mit Frau Pacher hatte ich persönlich wenig zu tun, aber Stanzers Annäherungsversuche fielen fast jedem bei uns auf. Sein Ego war schon ziemlich angekratzt, Widerstand war er offenbar nicht gewohnt, obwohl ich selber nicht ganz verstand, warum die Frauen ausgerechnet bei dem Typen reihenweise schwach werden hätten sollen. Und offenbar war Helga Pacher derselben Meinung, denn als der selbstbewusste Kollege einen kecken Vorstoß in Sachen gemeinsamem Abendessen unternahm, ließ ihn die Spröde höflich aber bestimmt abblitzen. Stanzer schäumte vor Wut, die Geschichte war Tagesgespräch im Büro und ich selber fragte mich, warum Stanzer die Abfuhr gar so tragisch nahm.

Schließlich schwärmte Mr. Unwiderstehlich gerne von seinem „Privatharem“, ungefähr zwanzig Frauen, die angeblich jederzeit bereit wären, die Nacht mit ihm zu teilen, ohne zu zögern. Da steckte man doch so eine Niederlage relativ leicht weg, oder? Eben nicht. Denn diesmal war es um mehr gegangen als nur um einen romantischen Abend mit möglicher heißer Nacht im Anschluss. Herwig Stanzer hatte nämlich mit einem Freund gewettet, er würde die schöne Kollegin sicher herumkriegen, und das tatsächlich um 2000,00 Schilling. Ein arger Kuhhandel, dachte ich mir, als das Gerücht schließlich die Runde machte, und nicht nur ich, denn Frau Pacher war nicht so mundfaul wie ich oder andere sondern sagte Stanzer ordentlich die Meinung deswegen.

Stanzer hingegen fühlte sich trotzdem nicht schuldig sondern einmal mehr nur unschuldig zum Handkuss gekommen. Dass seine Vorgangsweise erbärmlich war und völlig indiskutabel, hätte er nie eingesehen, geschweige denn zugegeben. Aber so war er nun mal, der Kollege, der sich selber sogar als wichtiges Rad im Getriebe der Firma betrachtete. Aber schon öfter und diesmal ganz besonders hatte er den Mund zu voll genommen. Die von ihm so umschwärmte Frau Pacher zeigte ihm nur mehr die kalte Schulter und außerdem wollte ihm eigentlich niemand mehr so Recht einen Gefallen tun oder behilflich sein. Aber glauben Sie nicht, liebe Leser, dass der Kollege die Gründe dafür bei sich gesucht hätte!

© Vivienne

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