Home Kolumnen Die bunte Welt von Vivienne
16.08.2005, © Vivienne
Der Kirschbaum
oder
Der Nachbarschaftskampf
Zu meinen lebhaftesten wie schönsten Kindheitserinnerungen gehören auf jeden Fall die Kirschen des Herrn Gahleitner, der weiter unten in unserer Siedlung lebte. Ganz der Familientradition entsprechend schon unser Vater hatte gern die Birnen des Pfarrers stibitzt – hatten wir als Kinder den großen, schönen Baum, der am Grundstücksrand der Gahleitners stand, öfter geplündert. Herr Gahleitner selber hatte stets nur darüber gelacht, wenn er uns dabei beobachtete. Meine letzte derartige Diebstour liegt aber mittlerweile weit mehr als zwanzig Jahre zurück. Ab einem gewissen Alter findet man es nicht mehr aufregend, wenn man sich an fremden Obstbäumen bedient.
Vor einigen Wochen war ich wieder mit Albert bei uns daheim zu Gast gewesen und als wir durch die Siedlung spazierten, kamen wir unvermeidlicherweise am Haus des Herrn Gahleitner vorbei. Selbstverständlich klaubte ich die alten Geschichten wieder aus, aber Alis Blick drückte Skepsis aus. Kirschen? Aber wo denn, liebe Vivi? Ich sehe da keinen Baum! Kannst du auch nicht! gab ich zu. weil da seit ein paar Jahren kein Kirschbaum mehr steht. Aha. Und warum? Alis kurze Frage war eine unmissverständliche Aufforderung, ihm die Zusammenhänge genauer zu erklären. Wir setzten uns also im nahen Gastgarten für eine Melange hin und ich erklärte meinem Mann, warum Herr Gahleitner sich von seinem Baum getrennt hatte.
Der Herr Gahleitner war an sich die gutmütigste Seele, die man sich vorstellen kann. Es hat ihm nie was ausgemacht, dass wir oder andere Kinder uns Kirschen von diesem Baum geholt haben. Aber vor einiger Zeit hatte ein Linzer das Grundstück neben Herrn Gahleitners Garten käuflich erworben. Er errichtete dort ein Haus für sich und seine Frau. Während der Bautätigkeit muss es schon öfter Streit gegeben haben zwischen den beiden wahrscheinlich grundverschiedenen Herren. Ich zeigte Ali das schmucke Haus weiter hinten. Vor allem wegen des Lärms vermute ich, und wegen anderer Dinge. Ich habe damals ja in Salzburg gelebt, ich weiß also nicht mehr genau, warum. Man vergisst solche Belange ja besonders leicht, wenn man sie nicht selbst erlebt sondern nur erzählt bekommt. Aber Streit lag jedenfalls in der Luft
Ali gab zwei Stück Würfelzucker in seinen Kaffee. Seltsam Aber ich kenne das durchaus von uns daheim. Manche Leute kommen mit fast jedem gut aus, aber bei jemand Bestimmtem könnten sie fast zum Berserker werden. Was ist denn dann passiert? Ich musste unvermittelt schmunzeln. Der Streit ging so banal los. Der Baum stand damals an der Grundstücksgrenze und mit der Zeit reckten sich einige starke Äste über die Mauer in das Grundstück des Linzers. Und eines schönen Tages im Juni muss Herr Gahleitner den Feind, muss ich schon fast sagen, beim Kirschenklau erwischt haben. Wohlgemerkt aber nur bei jenen Ästen, die sich ohnehin auf seiner Seite befanden. Was rechtlich geregelt ist. In so einem Fall darf der Nachbar zugreifen, auch wenn der Baum nicht ihm gehört. Aber Herr Gahleitner ist deswegen fast explodiert. Er machte immer wieder Fotos von diesem Diebstahl und lief zur Gendarmerie damit. Die Folge war, dass sich die beiden Streithähne fast jeden Tag heftige Schreiduelle lieferten.
Eine Wespe umschwirrte mich, oder besser gesagt meinen Kaffee, obwohl ich sie mit der Hand zu verjagen versuchte. Ich habe seit ein paar Jahren eine Allergie und fürchte die kleinen Viecher deswegen sehr. Es dauerte, bis sie sich einen anderen Gast für ihre Umwerbung suchte. Ali hatte mich grinsend beobachtet und mich darauf hingewiesen, dass ich damit erst eine an sich harmlose Wespe aggressiv machen könnte. Ich nahm einen Schluck Kaffee und den Faden wieder auf. Gahleitner zeigte den Linzer schließlich an und es kam zum Prozess. Dort hat er dann verloren, weil die Rechtslage, wie ich dir schon sagte, seinen Unmut gegenüber dem Nachbarn nicht unterstützte. Das hat Gahleitner gesundheitlich umgeworfen. Er wurde herzkrank, lach jetzt nicht, das war nicht komisch. Der Mann war nur noch ein Wrack seiner selbst. Und mir hat er leid getan.
Mich fröstelte, weil der kühle Wind mittlerweile empfindlich auffrischte. und Herr Gahleitner gab nicht auf, nein, obwohl so krank, sägte er selber zwei dicke Äste, die ins Nachbargrundstück reichten, ab. Und als selbst dann die Neu-Siedler noch Kirschen erreichen konnten, bat er entnervt seinen Sohn, den Baum im Herbst umzusägen. Lieber wollte er keine Kirschen mehr als dem verhassten Linzer ein paar zu gönnen was dann auch so passiert ist! Ali winkte dem Kellner, ihm war augenscheinlich auch kalt geworden. Wir zahlten, dann marschierten wir wieder zurück zum Haus meiner Eltern. Im Vorbeigehen zeigte ich Albert, wo der Baumstumpf bei den Gahleitners noch aus dem Boden ragte, von Moos überwachsen. Herr Gahleitner ist nicht mehr glücklich geworden, er starb ein paar Jahre später und auch der Linzer und seine Frau haben uns bald wieder verlassen und das Haus verkauft. Einige Freunde der Gahleitners haben ihnen nämlich diesen Streit sehr übel genommen und sie das deutlich fühlen lassen. Ich sah Ali achselzuckend an. und das alles wegen ein paar Kirschen!
Vivienne
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