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16.08.2005, © Vivienne

Die Wette

„Der büffelt!“ Ich nickte anerkennend und der Kollege neben mir, Andreas Dorninger, gab mir Recht. „Du hast Recht, der haut sich ordentlich rein. Trotzdem glaube ich nicht, dass unser Klemens die Buchhalterprüfung auf Anhieb schaffen wird!“ Ich drehte mich erstaunt zu meinem vis-à-vis. „Warum glaubt du das? So wie ich das sehe, kann der gar nicht durchfallen. Ich sehe ihn in jeder freien Minute nur noch lernen, sogar in der Mittagspause, wie jetzt!“ Andreas blickte kryptisch zum Kollegen. „Das wird aber trotzdem nicht reichen, ich habe selber diese Prüfung vor ein paar Jahren abgelegt und zwei Anläufe gebraucht. Man muss perfekt sein, um auf Anhieb zu bestehen.“

Ich musterte den Kollegen mit unbestimmten Gefühlen. Keine drei Monate war ich jetzt in der Großhandelsfirma, in der ich auch noch viel später meinen jetzigen Mann Ali kennen lernen sollte. Noch war von dem aber weit und breit noch nichts zu sehen, nur Toni, der nette Lehrbursch, begann mich schon in den Rauchpausen zu begleiten. Andreas Dorninger war ein Kollege, der für mich schwer einschätzbar war. Ich war an sich immer gut mit ihm ausgekommen, ich hatte aber Situationen in der Firma beobachtet, wenn Andreas wütend geworden war – und er schien mir etwas jähzornig zu sein. Einmal schoss mir sogar der Satz: Der ist ja verrückt! Andererseits musste ich zugeben, dass der junge Mann durchaus widersprüchliche Gefühle in mir weckte, ich fühlte mich von ihm angezogen, obwohl damals noch eine bessere Hälfte namens Richard bei mir daheim auf mich wartete.

Ich war nicht verliebt, das nicht unbedingt, aber verwirren konnte mich der Bursch durchaus. Und wenn er mich, in Anspielung auf meine damals noch roten Haare, fast zärtlich „Rotschopf“ nannte, begann ich mich schon zu fragen, was wohl in seinem Kopf vorging, was meine Person betraf. In diesem Moment machte ich mir aber darüber keine Gedanken. Ich fragte mich eher, ob Andreas unserem Klemens vielleicht einfach eine bessere Leistung bei der Buchhalterprüfung als er selber nicht gönnen wollte. „Wir werden sehen!“ schloss ich nachdenklich meine Überlegungen ab. Ich wollte wieder an meinen Schreibtisch zurück, denn ich hatte keine Lust von der Neumeier, meiner damaligen Chefin, beim Tratschen erwischt zu werden. Andreas nahm aber meine Hand und hielt mich zurück. „Wart noch!“ 

„Ja?“ Irritiert sah ich Andreas ins Gesicht. „Wetten wir doch! Ich wette, dass Klemens die Prüfung nicht auf Anhieb schafft und du hältst dagegen.“ Andreas lächelte mich gewinnend aus stahlblauen Augen an. „Wetten?“ Der Kollege kam doch immer wieder auf kuriose Einfälle. „Worüber willst du wetten? Ich meine, um welchen Einsatz?“ Andreas zwinkerte mir zu. „Das können wir uns ausmachen. Was soll ich für dich tun, wenn ich verliere?“ Ich musste unvermittelt lachen. Ja, wenn er mir so kam… „Wenn ich nicht unverschämt bin, ich habe da in der Innenstadt in einem Geschäft eine Handtasche gesehen. Die wünsch ich mir!“ Andreas nickte heftig. „Passt. Also falls du gewinnst, bekommst du die, versprochen!“ Er wandte sich ab, weil ein wichtiger Lieferant gerade in den Hof fuhr, mit dem er noch reden musste.

„Halt!“ rief ich ihm nach. „Und was ist, wenn du gewinnst? Was muss ich tun?“ Andreas ließ seinen ganzen Charme sprühen. „Das sag ich dir noch! Wart noch ab!“ Etwas verdattert blickte ich ihm nach. Das sag ich dir noch? Merkwürdig. Vielleicht wollte ich ja gar nicht, was er wollte… Aber wie auch immer. Zwingen ließ ich mich nicht. Außerdem, womöglich musste ich ja nur seine Wohnung einmal durchputzen. Mit diesem Gedanken kehrte ich ins Büro zurück. Ich vergaß überhaupt schnell völlig auf unsere Wette, erst als wir, ein paar Kollegen, ein paar Wochen später an einem Freitagnachmittag in einem Lokal saßen und auf das Wochenende anstießen, brachte Andreas geschickt wieder das Gespräch auf unsere Wette. „Klemens hat doch heute seine Prüfung, weiß du das?“ Ich nickte. „Ich weiß, dass er sich die ganze Woche deswegen frei genommen hat. Ich wünsch ihm, dass er es schafft.“

Andreas prostet mir mit seinem Achterl Chardonay zu und nahm einen Schluck. „Unsere Wette hast du aber nicht vergessen, oder?“ Er griff in die Hosentasche und angelte nach seinem Handy. „Wir fragen ihn am besten gleich, ob er es geschafft hat, ja?“ Er wählte eine Nummer und kurz darauf meldete sich Klemens. Ich spürte, dass ich ihn irritiert beobachtete, ohne zu wissen warum. Es störte mich etwas am Verhalten von Andreas, und ich merkte, dass Nervosität in mir aufstieg. „Wie geht’s dir? Wie sieht’s aus?“ Andreas kam gleich zum Punkt. Die Kollegen verfolgten aufmerksam das Telefonat, auch wenn einige gar nicht wussten, worum es überhaupt ging. Im Gesicht von Andreas, das eben noch gute Laune ausgedrückt hatte, zuckte es aber mit einem Mal, als hätte ihn jemand geschlagen. „Bestanden?“ Seine Stimme klang leise und irgendwie enttäuscht. „Alles Gute! Nächte Woche gibst du eine Runde aus.“

Andreas beendete das Gespräch unerwartet schnell und steckte das Handy wieder ein. Ich verspürte eine gewisse Erleichterung, obwohl ich nicht sicher wusste, wovor ich mich eigentlich gefürchtet hatte. Vorsichtig wagte ich einen Vorstoß. „Diese Handtasche – krieg ich die jetzt?“ Andreas nickte kurz, er sah mich nicht mehr an. Sein Blick verlor sich in seinem Glas mit dem Weißwein. Er sprach überhaupt kaum mehr ein Wort, und kurz darauf verließ er mit einem Hinweis auf einen wichtigen Termin unsere gemütliche Runde. Ich war etwas betroffen und habe mich lange geweigert, darüber nachzudenken, was Andreas wohl von mir gefordert hätte. Weniger weil es ungeheuerlich hätte sein können. Sondern vielmehr deswegen, weil es durchaus möglich gewesen wäre, dass ich es damals vielleicht trotzdem nicht verweigert hätte…

Vivienne

 

 

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