Home Kolumnen Die bunte Welt von Vivienne
23.04.2005, © Vivienne
Ihr Leben für das des Kindes
Ich saß mit meiner Busenfreundin Vicky heuer das erste Mal im Gastgarten und wir tauschten Neuigkeiten aus. Neuigkeiten aller Art, denn so oft trafen wir uns einfach nicht mehr so vertraute ich Vicky an, dass Albert und ich in einer kleinen Zeremonie Anfang Juni heiraten würden. aber nur standesamtlich! wie ich betonte. Meine beste Freundin von allen schmunzelte. Seltsam, wie schwer dir das fällt! Sie sah gut aus, wie das blühende Leben. Nach der ersten wimmerlreichen Phase der Schwangerschaft war sie binnen weniger Wochen zu einer wunderschönen Frau geworden, die zwar etwas zugenommen hatte, aber unglaublich attraktiv wirkte. Die Mutterschaft strahlte geradezu aus ihr.
Ihre langen, schmalen Finger spielten mit einem Stück Rohzucker, als sie mich ansah, als könnte sie meine Gedanken lesen. ..weißt du, Vivi, es geht mir echt gut. Mir ist nicht mehr schlecht und Gott sei Dank habe ich auch kaum Wasser in den Beinen. Aber neulich hatte ich doch eine Schrecksekunde. Ich richtete mich gespannt in meinem Stuhl auf. Schrecksekunde? Vicky hob ihren rechten Arm. Siehst du das Muttermal hier? Ich warf einen interessierten Blick auf den großen, auffällig dunklen Fleck. Das sollte sich ein Hautarzt ansehen, würde ich mal sagen. Medizinische Ratschläge konnte ich mir selten verbeißen. Meine Mutter war Krankenschwester gewesen, und eine gewisse Neigung zu dieser Materie ließ sich da offenbar nicht verleugnen.
Vicky nickte. Dasselbe habe ich mir auch gedacht. Immerhin kam mir sogar vor, der Leberfleck wäre zuletzt noch gewachsen. Aber letzte Woche hatte ich einen Termin bei meinem Hautarzt und er hat mir versichert, dass alles in Ordnung ist keine Anzeichen von einem Melanom. Er hat mir sogar angeboten, dieses riesige Muttermal bei örtlicher Betäubung zu entfernen . Vicky wirkte etwas nachdenklich. aber ich warte lieber, bis das Kind geboren ist. Dann darf es raus Ich musterte Vicky neugierig, ich spürte gerade zu, dass Vicky noch etwas auf dem Herzen hatte. Meine Busenfreundin nippte am Wasserglas. Wir hatten beide gerade einen riesigen Eisbecher aufgegessen und die Sonne streichelte sanft unsere Gesichter.
Es ist verrückt, ich weiß stellte sie sich nach ein paar Momenten meiner unausgesprochenen Frage. aber vor Jahren hatte ich in einer anderen Firma eine Arbeitskollegin, ich denke sie hieß Hilde Günther. Sie war eine sehr nette Frau, lebte schon ewig in einer Beziehung und war sehr beliebt. Und Hilde hatte auch so einen großen Leberfleck, am Rücken, und der schien auch zu wachsen. Sie ging damals erst nach einiger Zeit zu einem Facharzt und schließlich wurde ihr im Spital der Leberfleck entfernt. Alles okay, meinten die Ärzte damals. Vicky wirkte etwas gedrückt, so dass ich zu ahnen begann, dass eben doch nicht alles gepasst haben musste. Nachdenklich starrte sie an mir vorbei und bemerkte nicht einmal wirklich, dass sie fast genau in die Sonne blickte.
na ja, und in der Euphorie haben die Frau Günther und ihr Lebensgefährte beschlossen, ihr Wunschkind zu zeugen. Sie setzten diesen Plan dann auch erfolgreich um. Etwa drei Monate später konnte Hilde voller Stolz ihre Schwangerschaft in der Firma verkünden. Es schien sich alles positiv zu entwickeln, bis praktisch über Nacht bei ihr die Lymphknoten enorm anschwollen, vor allem in den Achselhöhlen. Im Krankenhaus stellte sich dann heraus, dass Hilde Krebs hatte. Das Muttermal, dass man ihr eine Weile zuvor entnommen hatte, war anscheinend doch schon entartet gewesen und hatte Metastasen ausgesandt. Durch die Schwangerschaft und die hormonelle Veränderung breitete sich der Krebs rasend schnell im Körper der Kollegin aus. Die Lymphdrüsen waren schon befallen
Ich schwieg betroffen. Vor einiger Zeit hatte ich einmal eine Statistik gelesen, dass es pro Jahr tatsächlich eine handvoll werdender Mütter gibt, bei denen Krebs diagnostiziert wird. Wie in diesem Fall eine teuflische Verkettung von Umständen Vicky fuhr fort, mit leiser Stimme und die Geschichte nahm sie mit, das merkte ich gut. Die Ärzte rieten ihr zur Abtreibung. Sofort. Um den Krebs effizient behandeln zu können. Aber Hilde weigerte sich. Sie muss wohl geahnt haben, dass sie ohnedies keine Chance hatte. Und sie opferte sich buchstäblich für ihr ungeborenes Kind auf. Keine Chemotherapie, sie lag nur mehr im Spital und verfiel. Es war grauenhaft, wie der Krebs sie veränderte, sie entstellte. Und im Grunde hielt sie nur ihr Kind am Leben, das sagte sie mir auch, als ich sie einmal im Spital besuchte. Vicky kämpfte in der Erinnerung mit den Tränen. … schließlich war ihr Körper vom Krebs zerfressen, aber sie nahm nicht einmal Schmerzmittel um ihr Kind nicht zu gefährden. Bis die behandelnden Ärzte einschritten. Im siebenten Monat wurde das Baby mittels Kaiserschnitt auf die Welt geholt dem Anschein nach völlig gesund.
Wir schwiegen beide. Die Sonne schien auf einmal nicht mehr so prachtvoll zu scheinen, es war, als hinge eine diffuse Wolke über uns. Irgendwann nahm Vicky wieder den Faden auf. Ein paar Tage darauf ist Hilde Günther dann gestorben. Aber ihrem Kind ging es gut, das wusste sie wenigstens. In so fern war sie mit sich im Einklang als sie ging Ein Vogel zwitscherte fröhlich neben uns und flatterte wieder weg. Was ist denn aus dem Mann und dem Kind geworden? Ich selber empfand in diese Stimmung hinein meine Frage nicht unbedingt als passend. Vicky schüttelte den Kopf. Ich weiß es nicht. Man verliert sich aus den Augen, du weißt ja wie das ist. Hilde selber lebte nicht mehr, und so verlor sich der Kontakt rasch
Natürlich verstand ich. Sogar sehr gut. Nun verstand ich auch Vickys Ängste besser. Es war nachvollziehbar, dass sie kurz ein ähnliches Schicksal fürchtete. Auch wenn dieser tragische Fall schon Jahre zurücklag und mittlerweile gerade in Bezug auf Hautkrebs sehr viel bessere Diagnoseverfahren eingesetzt werden können. Vicky brauchte sich keine Gedanken zu machen Ich legte die Hand auf ihren Arm. Und sie wusste auch ohne Worte, was ich ihr damit sagen wollte
Nach einer wahren Geschichte
Vivienne
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