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22.11.2005, © Vivienne

War es das, was du wolltest?

Katrin saß im Zug.
Das eintönige Fahrtgeräusch machte sie müde.
Sehr müde.
Aber Katrin wollte nicht schlafen.
Nicht hier im Zug.
Sie wusste genau.
Sie würde von Armin träumen.
Keine angenehmen Träume.
Was sie jetzt verdrängte.
Wovon sie sich jetzt abzulenken versuchte.
Es würde sie im Schlaf überfallen.
Wie ein Raubtier.
Aus dem Hinterhalt.
Wenn sie wehrlos war.
Die Tür des Abteils wurde aufgerissen.
Kaffee, Tee?
Katrin hob abwehren die Hand.
Die Tür wurde wieder geschlossen.
Katrin lehnte sich zurück.
Schloss die Augen.
Ihr Kopf schmerzte.

Walter sah Katrin ungläubig an.
Du willst wirklich gehen?
Mich verlassen?
Er setzte sich.
Stützte verzweifelt den Kopf an der linken Hand.
Bitte.
Katrin.
Lass uns noch einmal darüber reden.
Du kannst doch nicht alles wegwerfen…
Wir sind so lange beisammen.
Fast acht Jahre.
Er blickte Katrin an.
Sein Gesicht war sehr blass.
Glaubst du nicht…?
Dass du mir das schuldig bist?
Dass ich ein Recht darauf habe?
Nach so langer Zeit?
Katrin wandte sich ab.
Dieser Dackelblick!
Ja.
Sie fühlte sich schuldig.
Das Gefühl war übermächtig.
Einen Moment.
Dann dachte sie an Armin.
Presste die Lippen aneinander.
Und drehte sich wieder um zu ihm.
Reden?
Wie lange willst du noch reden?
Ohne dass sich etwas ändert?
Unerwartet heftig waren die Worte gekommen.
Fast wie Projektile.
Sie trafen.
Walter zuckte zusammen.
Seine Worte klangen zynisch.
Oh.
Ich vergaß.
Du hast ja schon einen anderen.
Was soll ich mir da noch erwarten?
Walter stand auf.
Geh doch zu ihm!

Armin küsste Katrin zärtlich.
Ich bin froh, dass du es getan hast.
Endlich.
Es war nur mehr eine Belastung.
Was hast du dir nur mitgemacht!
Katrin lächelte.
Lehnte sich an Armin.
Dessen Hand sanft über ihr Gesicht streichelte.
Mein Gott!
Sie hatte es getan!
Und sie wusste nicht.
Woher sie den Mut dazu gehabt hatte.
Oder etwa doch?
Hatte ihr nicht Armin den Mut geschenkt?
Seine Liebe hatte sie so stark gemacht.
Sie hatte Walters Wutanfall überstanden.
Und die eisigen Blicke seiner Eltern.
Auch ihr Vater hatte es ihr nicht leicht gemacht.
Er wollte dich heiraten!
Weißt du, was du tust?
Ich bin mir da nicht sicher!
Er wollte sie nicht bei sich wohnen lassen.
Egal.
Sie lebte jetzt in einer WG.
Vorübergehend.
Ein Zimmer mit Bett genügte.
Vorläufig.
Und bald würde sie ohnehin zu Armin ziehen können…

Katrin richtete sich auf.
Der Schaffner stand vor ihr.
Ihr Fahrschein, bitte!
Katrin kramte in ihrer Handtasche.
Der Schaffner kontrollierte die Karte.
Angenehme Reise!
Die Worte klangen wie Hohn in ihren Ohren.
Blanker Hohn.
Im Grunde war es Zufall gewesen.
Dass sie Armin an dem Abend anrufen wollte.
Eine Laune.
Sie hatte sich nach seiner Stimme gesehnt.
Nach seinem Lachen.
Aber Armin hatte nicht abgehoben.
Nicht beim ersten Mal.
Nicht beim zweiten Mal.
Beim dritten Mal meldete sich eine Frauenstimme.
Hallo!
Wer ist da?
Katrin glaubte an einen Irrtum.
Im ersten Moment.
Bis sie Armin hörte.
Im Hintergrund.
Wer ist dran?
Katrin legte auf.
Wie im Reflex.
Er war nicht allein…
Er hatte ihr etwas vorgemacht.
Sie hatte sich etwas vorgemacht.
Grausame Täuschung.
Und nun war sie auf der Flucht.
Vor Armin.
Und ihrer Liebe.
Die so grausam betrogen worden war.
Auf dem Weg in eine andere Stadt.
Würde sie dort zur Ruhe kommen?

Vivienne

 

 

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