Der neue Chorleiter, Teil 2 – Weihnachten

Georg Ofner war mit dem Auto zu seiner Frau und den Kindern unterwegs. Worauf er sich da wieder eingelassen hatte! Er zündete sich eine Zigarette an und drehte das Radio lauter, weil die Nachrichten liefen. Natürlich war Pfarrer Heinz Stadlbauer immer ein guter Freund von ihm gewesen, auch wenn sich nach der Matura ihre Wege immer wieder für gewisse Zeit getrennt hatten. Der Kontakt war zwar nie völlig abgerissen zwischen den beiden, aber dass sich Heinz wegen eines derartigen Anliegens an ihn wenden würde, hätte er nicht unbedingt erwartet. Eine lateinische Messe für einen Kirchenchor in der Provinz, wo kaum ein Mensch etwas mit einer lateinischen Messe anfangen konnte. Und vielleicht auch nicht wollte…

 

Das dachte er sich öfter, wenn er bemerkte, wie die Leute im Chor immer wieder tuschelten und sich kopfschüttelnd ansahen. Die Blicke, die man ihm schenkte, waren nicht immer freundlich oder besser gesagt, nicht sehr aufgeschlossen. Diese Frau Schiffner war aber das größte Übel von allen, zumindest gesanglich. Seine Ohren dröhnten wieder, wenn er nur daran dachte. Zwar konnte Frau Schiffner zumindest die Noten lesen und sie hatte sogar eine Stimmausbildung genossen (Gott allein wusste wo), aber ihre Stimme hatte mehr Ähnlichkeit mit der eines heulenden Wolfes als mit einer Frau in Sopranstimmlage. Natürlich durfte er ihr das nicht sagen, und es hatte all seiner Überredungskunst bedurft, ihr klar zu machen, dass nicht sie die Soli in der Messe singen durfte sondern ein junges, nicht unbegabtes Mädchen aus der Hauptschule, Heidi Steiner. Er war mit Frau Schiffner auf einen Kaffee gegangen und hatte ihr erläutert: Da Gott in Gestalt eines Kindes zu uns auf die Erde gekommen sei, halte er auch für das Beste einem Kind diese schwierigen Solostücke anzuvertrauen…

 

Ofner musste unvermittelt grinsen. Dieses Hindernis hatte er gut umschifft, keine Frage und als er Frau Schiffner, mit der er mittlerweile per du war, auch noch erzählte, dass er froh über ihre Hilfe und ihre Erfahrung sei, war sie dahin geschmolzen. Heute hatte sie ihm doch tatsächlich Kekse mitgegeben, eine ganze Dose, für ihn und die Gattin, wie sie mit schelmischem Lächeln anmerkte. Ob Moni, seine Frau, noch auf war? Es war wieder spät geworden, aber sie hatte sich bisher nicht beklagt, dass er zwei bis drei Abende in der Woche in der Pfarre seines Freundes Heinz verbrachte um dem Kirchenchor eine lateinische Messe beizubringen. Dabei war diese Zeit sicher nicht leicht für sie, sie arbeitete halbtags in einer Boutique in der nahen Stadt und der Stress jetzt vor Weihnachten war ganz enorm.

 

Brüsk trat Ofner in die Kupplung. Verdammt! Darauf hatte er ganz vergessen! Jetzt musste er unbedingt noch Heinz anrufen. Oder die Schiffner. Einige Noten für das Transeamus mussten noch kopiert werden, sonst würde es übermorgen wieder ewig dauern, bis man mit der eigentlichen Probe beginnen würde können. Georg Ofner presste die Lippen zusammen. Natürlich, der Chor in dieser mittelprächtigen Pfarre war alles andere als professionell organisiert, ganz im Gegenteil. Nach den Erklärungen seines Freundes Heinz hatte er ja seine Erwartungen tief gestapelt, aber dass die Leute zum Teil kamen und gingen wann sie wollten, weil die Kegelrunde losging oder man vor dem Chor noch schnell ein Bier trinken wollte, nervte ihn immer wieder. Er hatte schon versucht, mit Anneliese darüber zu reden, denn diese Messe war nun mal kein altbekanntes Weihnachtslied à la Stille Nacht oder Es ist ein Ros’ entsprungen sondern ein nicht unbedingt alltägliches Musikstück, an dem man arbeiten musste…

 

Der Frust in Ofner nahm kurz überhand. Wenn er an das Gros der Sänger dachte, überkam ihn eine Gänsehaut. Dabei haperte es wohl weniger am Talent als an der Einstellung. Wenn er nur an Leopold Gmeiner dachte, den Bass, der im Transeamus das Solo übernehmen sollte: Hut ab! Ein gesangliches Naturtalent, er hatte selten einen volleren und satteren Bass gehört. Aber Gmeiner war die halbe Zeit nicht da, weil er seinen Eltern auf dem Bauernhof helfen musste. Manchmal hätte er, Georg, sich am liebsten die Haare gerauft. Nicht das erste Mal fragte er sich, ob es überhaupt Sinn hatte, sich die ganze Arbeit anzutun…

 

Vivienne

Schreibe einen Kommentar