Monika Ofner zog die Kinder an. Die Bescherung war vorverlegt worden wegen der Christmette, die ihr Mann heute dirigieren würde. Die Kleinen waren müde und ihre Schwägerin würde die Kinder gleich holen, damit sie und Georg bei diesem Schneetreiben in die Provinz fahren konnten. Um dieses ach so ambitionierte Unterfangen endlich abzuschließen… Das Weinen ihres Sohnes riss sie aus den Überlegungen. Er rieb sich die Augen und konnte kaum noch schauen. Monika hob ihn hoch und küsste ihn zärtlich. Eine Schnapsidee im Grunde, am Heiligen Abend die beiden Kinder zu ihrem Schwager und der Schwägerin zu bringen. Aber war nicht im Grunde die Idee von dieser einstudierten Messe nicht auch eine Schnapsidee? Und das nicht einmal für die eigene Pfarre sondern für die Pfarre eines Freundes, dieses Georg Stadlbauer?
Der kleine Sohn war in ihren Armen eingeschlafen. Sie selber war auch müde, sehr müde sogar, denn sie hatte heute noch bis fast 14:00 Uhr in der Boutique gearbeitet. Ihre Schwägerin kam herein und Monika drückte ihr den Buben in den Arm. Ihre Tochter lief der Tante schon selber nach. Gut, das war geschafft! Später im Auto saß sie schweigend neben Georg. Es schneite noch immer stark. Monika dachte nach. Darüber, wie wenig Zeit er zuletzt für sie gehabt hatte. Und für die Kinder. Es hatte sie oft alle Kraft der Welt gekostet ruhig zu bleiben, wenn er mal wieder mitten in der Nacht aus der Pfarre angefahren kam. Seinem Ärger Luft gemacht hatte und dabei nie registrierte, wie notwendig sie eigentlich seine Zuwendungen und seine Zärtlichkeit gebraucht hätte. Nein, er hatte es nicht gemerkt. Nie.
Georg parkte vor der Kirche. Er starrte kurz gerade aus, dann sah er sie an: „Moni, keine Ahnung, wie das heute wird. Ich weiß es nicht. Hier muss man mit allem rechnen.“ Er lächelte müde. „Aber ich möchte dir danken, danken dafür, dass du es akzeptiert hast. Die ganzen Umstände. Ich liebe dich!“ Monika war überrascht. Sie spürte seinen Kuss unerwartet intensiv auf den Lippen. Einen Moment fühlte sie sich fast schuldig für ihre Gedanken, über die sie schon den ganzen Abend gebrütet hatte. Dann stiegen sie aus, und eine Fregatte in den Vierzigern steuerte die beiden an: „Das ist Anneliese!“ hatte ihr Georg erklärt. Heinz Stadlbauer kannte sie ja, und es überraschte sie, wie freundlich all die Leute hier grüßten. Als wäre sie eine alte Bekannte… Sie bekam einen Punsch und Kekse während Georg mit den Chorleuten noch ein letztes Mal probte. Plötzlich schrie jemand neben ihr auf. „Der Gmeiner Leo ist jetzt endlich da! Der singt ja das Solo im Transeamus! Jetzt wird sicher alles gut gehen.“
Monika fror. Es wurde dunkel in der voll besetzten Kirche als die Mette begann. Sie beobachtete Stadlbauer, der so ganz anders aussah als sie ihn kannte. Die prächtigen Gewänder veränderten ihn stark. Und schließlich setzte der Chor ein. Eine voluminöse dunkle Stimme mit samtenen Klang setzte ein: „Transeamus usque Bethlehem…“ Genau, das war doch dieser Gmeiner… Monika Ofner erlebte die Messe wie im Traum. Sie ertappte sich öfter dabei, wie sie den Kopf leise schüttelte – voller Überraschung. Georg hatte da fast ein kleines Weihnachtswunder vollbracht, das klang überraschend gut, was sie da zu hören bekam. Und vor allem dieses Mädchen mit ihrem Solo im Kyrie! Fast ergriffen lauschte Monika und als sie um sich blickte, erkannte sie, dass es nicht nur ihr so ging. Ganz im Gegenteil, sie sah sogar Menschen mit Tränen in den Augen…
Die Christmette war ein voller Erfolg geworden. Monika blieb nach der Mette noch auf ihrem Platz sitzen, bis Georg sie schließlich strahlend abholte. Sie waren ganz allein in der Kirche und Georg nahm sie wortlos in den Arm, hielt sie fest. Monika wurde plötzlich bewusst, wie unbedeutend ihr eigener Unmut eigentlich gewesen war. So unbedeutend! Schließlich kam noch Pfarrer Heinz Stadlbauer selber zu den beiden. Er bedankte sich wortreich bei ihrem Mann und begleitete sie noch zum Punschstand. „Einen Punsch müsst ihr noch nehmen, ja? Einer ist keiner! Frohe Weihnachten!“ Monika musste schmunzeln. Einer ist keiner! Dabei musste Georg doch noch mit dem Auto heimfahren! Aber wenn es der Herr Pfarrer selber sagte! Sie sah ihren Mann an, der mit etlichen Leuten prostete, die voll des Lobes über die Messe waren… Ein hartes Stück Arbeit, aber es hatte sich gelohnt!
Vivienne