Die Menschen träumen im Frühling am liebsten von der Liebe und das nicht ohne Grund. Der Frühling weckt die Menschen auf nach dem kalten Winter, küsst die Blumen und die Vögel wach und die Triebe werden bei den Menschen wieder lebendig. Manch einer verhält sich wie ein junger Hund, wenn ihm die Frühlingsgefühle einschießen wie den Bäumen der Saft. Aber wenn wir ehrlich sind: es braucht nicht den Frühling um sich zu verlieben, die Liebe kann einen an jedem Tag befallen. Einzige Voraussetzung: bereit muss man sein. Einfach bereit – dann kann jede Nacht eine Nacht zum Verlieben sein…
Es ist mittlerweile über zwanzig Jahre her, als ich in Salzburg meine erste Liebe kennen und lieben lernte. Fast drei Jahre waren wir beisammen, aber als ich schließlich wieder nach Linz zurückkehrte war unsere Liebe erloschen. Abrupt war mir klar geworden, dass ich mich zu viel untergeordnet hatte, im Begriff war, ein biederes Weibchen zu werden: das wollten wir beide nicht, er nicht und ich noch viel weniger. Aber im Zuge meiner Weiterentwicklung verloren wir uns – wir wurden uns fremd. Ich kehrte also Salzburg den Rücken, weil ich dachte, es wäre einfacher ihn zu vergessen, wenn wir uns nicht mehr so nah waren. Und teilweise behielt ich Recht. Einmal abgesehen von einzelnen Tagen, an denen ich keinen Menschen sehen wollte vor lauter Kummer, merkte ich doch, wie ich mehr und mehr Distanz zu Salzburg und zu meiner ersten Liebe gewann. Ich bedauerte meinen Schritt nicht mehr…
Im späten Herbst – die Luft roch schon nach Schnee – fuhr ich an einem Wochenende mit ein paar Freunden weg. Kurt, ein alter Schulfreund von mir, hatte im Mühlviertel ein kleines Haus und da wollten wir, eine Gruppe von gut zehn Leuten, seinen 25. Geburtstag feiern. Wenn ich ehrlich war, hatte ich nicht wirklich Lust gehabt mitzufahren, aber Kurt hatte mein nein nicht akzeptieren wollen. Also gab ich nach obwohl ich an Saufpartien nie viel Freude gehabt hatte. Wenn ich allerdings ehrlich war, musste ich zugeben, dass ich nach dem Scheitern meiner Beziehung überhaupt viel lieber allein war als dass ich mich in Gesellschaft begeben hätte. Wieder ein wenig mehr unter Leute zu gehen würde mir also gar nicht schaden, gab ich schließlich selber zu…
An dem Abend lernte ich auch ein paar Freunde von Kurt kennen und außerdem seinen älteren Bruder Fritz, den ich noch nie gesehen hatte. Fritz hatte als Kind Tuberkulose gehabt und hatte einen Großteil seiner Kindheit bei Verwandten im Gebirge verbracht, weil die Bergluft seinen anfälligen Lungen gut tat. Fritz war, wie ich nach wenigen Minuten feststellen konnte, noch immer ein sehr blasser und ruhiger Typ und ich wusste nicht wirklich, was ich mit ihm reden sollte. Schließlich half er mir, Brote für den Abend zu schmieren und einen Salat zuzubereiten. Immerhin erkannte ich im Laufe des Nachmittags, dass Fritz keinesfalls dumm war und ganz sicher auch nicht schüchtern sondern einer von der Sorte, die nicht viel reden sondern eher Taten setzten.
Das merkte ich vor allem, als er sofort das Geschirr abzutrocknen begann, als ich den Abwasch machte. Wenn ich da an meinen Ex dachte, der hätte nicht einen Gedanken daran verschwendet – mit ein Grund, warum ich nicht mehr gewollt hatte… Fritz erzählte nicht viel über sich, selbst als ich ein wenig nachbohrte, wollte er nicht recht aus sich herausgehen. Ich zuckte schließlich die Achseln, und als die Fete begann, gesellte ich mich zu den anderen. Die Stimmung war gut und ich registrierte kaum, dass Fritz schließlich wieder neben mir saß und wir mit den anderen die üblichen Fetenlieder anstimmten. Schließlich reichte mir Fritz ein Glas Bier und prostete mir zu und ich trank aus dem Glas, obwohl ich Bier bis zum heutigen Tag nicht mag. Fritz zwinkerte mir zu und lächelte breit und wir unterhielten uns über Belanglosigkeiten…
Gegen Mitternacht stand ich auf und ging nach draußen. Mir war heiß geworden und viel Alkohol war ich einfach nicht gewohnt. Ich setzte mich in die kühle Nacht und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Ein Geräusch hinter mir ließ mich aufschrecken – Kurt stand vor mir und er nickte mir zu. „Hey, ich fasse es nicht! Was hast du mit Fritz gemacht? So vergnügt habe ich ihn lange nicht gesehen!“ Im ersten Moment starrte ich ihn blöde an, aber Kurt merkte nichts davon sondern erzählte mir eine Geschichte, dass sein Bruder immer etwas gehemmt anderen Frauen gegenüber auftreten würde und wie sehr ihn, Kurt, das freue, dass sich sein Bruder mit mir so gut verstehen würde… Ich brauchte einige Zeit um das alles zu begreifen, dann wurde mir erst bewusst, dass Fritz in meiner Gegenwart offenbar ein ganz anderer geworden war…
Genau genommen war ich schon etwas betrunken in dieser Nacht, in der erste Graupelschauer niedergingen und der Wind kalt wehte. Aber Minuten später holte mich Fritz wieder zu den anderen, wir lachten und feierten weiter und schließlich, als die anderen sich immer mehr in einen Dämmerschlaf der Trunkenheit verabschiedeten, küsste mich Fritz unversehens, etwas unsicher und ungeübt aber schließlich immer mutiger. Wir verzogen uns in eine schummrige Ecke wo wir weiterübten und uns kennen lernten und wenn ich ehrlich war, es tat gut wieder zu küssen, sanfte wie feste Männerhände streichelnd zu spüren und als wir am nächsten Morgen gegen Mittag wach wurden, lag ich in den Armen von Fritz. Wir waren auf engstem Raum miteinander eingeschlafen…
Dieses Wochenende haben Fritz und ich uns in einander verliebt, weil es gepasst hatte und weil wir beide sehr unkompliziert auf einander zugegangen waren. Eine große Liebe ist nicht daraus geworden, weil Fritz wieder ins Salzkammergut zurückkehrte, wo er arbeitete und wir verloren uns wieder aus den Augen. Handy und Email steckten damals noch in den Kinderschuhen und vielleicht sollte zwischen Fritz und mir auch gar nicht mehr sein als eine süße Romanze am Beginn des Winters… Und wenn ich heute daran zurückdenke, steigt dieses Gefühl der Verliebtheit wieder in mir auf. Ein Frühlingsgefühl im späten Herbst – mindestens genauso schön wie im Mai!
© Vivienne