Willi orderte noch ein Krügel Bier.
Sein Kopf schmerzte.
Die Augen brannten.
Steffi, die Kellnerin, lächelte ihm zu.
Deine Halbe.
Du gehst heut’ aber gar nicht heim.
Hast du morgen denn frei?
Willi schüttelte abwesend den Kopf.
Nein, morgen hatte er nicht frei.
Zumindest nicht vor dem Nachmittag.
Und morgen begann das Stadtfest.
Pünktlich wie jedes Jahr in der ersten Juniwoche.
Mit dem Bauernmarkt und den Schießständen.
Und den Musikgruppen aus der Umgebung.
Auch eine Lotterie gab es wieder.
Von den Bierzelten und den Würstlständen erst gar nicht zu reden.
Jede Menge zu tun.
Perfekt durchorganisiert.
Ehrenamtliche Helfer ohne Zahl.
Nur eine würde dieses Jahr fehlen.
Und die an allen Ecken und Enden.
Hilde…
Willi wischte sich den Schaum vom Mund.
Zu Mittag hatte ihn Mike angerufen.
Mike vom Organisationskomitee.
Ein alter Freund von ihm.
Aber Mikes Stimme hatte nicht freundlich geklungen.
Bravo.
Sie hat ernst gemacht.
Sie wird nicht mitmachen.
Nicht heuer.
Und nie mehr.
Hat sie zumindest gesagt.
Und ich glaube, sie hat das todernst gemeint.
Mike hatte kurz Luft geholt.
War das alles notwendig?
War es nicht möglich, ihr früher reinen Wein einzuschenken?
Ihr alles zu erklären?
Damit Gras über die Sache wachsen kann?
Sie wird uns fehlen.
Hörst du!
Sie ist unverzichtbar!
Ich weiß nicht, wie wir das heuer schaffen sollen.
Ohne sie.
Das geht auf deine Kappe, hörst du?
Irgendwann musste sie dahinter kommen.
Du bist ein verdammter Idiot!
Mit zitternden Händen zündete Willi sich eine Zigarette an.
Sein Handy begann zu piepsen.
Er warf einen Blick auf das Display.
Gerdi.
Seine Freundin.
Kurz sah er ihr Bild vor sich.
Im Jeansmini.
Mit ihren endlos langen Beinen…
Dann schüttelte er den Kopf.
Er wollte jetzt nicht mit Gerdi sprechen.
Nicht jetzt.
Ihm war nicht nach ihrem Gesäusel.
Vermutlich würde sie sich beklagen.
Warum kommst du nicht nach Hause?
Ich bin so allein…
Wie lange willst du mich noch warten lassen?
Ihre Stimmlage irgendwo so zwischen beleidigt und anlehnungsbedürftig.
Gerdi.
Wie er sie liebte.
Aber nicht heute.
Nicht jetzt…
Gestern hatte ihn Martina angerufen.
Sie machte die Listen mit der Einteilung der Ehrenamtlichen.
Hör zu.
Mit Hilde stimmt was nicht.
Sie macht heuer nicht mit.
Sie hat keine Zeit.
Sagt sie.
Das hat es doch noch nie gegeben.
Du musst mit ihr reden.
Bitte ruf sie an!
Willi hatte genickt.
Schon gut.
Wahrscheinlich war Hilde eine Laus über die Leber gelaufen.
Darüber würde sich doch reden lassen.
Sie war öfter mal launisch.
Aber er, Willi, konnte mit ihr umgehen.
Hilde heuer nicht beim Stadtfest?
Das war doch unvorstellbar!
In der Mittagspause wählte er ihre Nummer.
Hilde meldete sich.
Sie hatte etwas distanziert gewirkt.
Aber das fiel ihm erst nachher auf.
Nach diesem Gespräch…
Du bist heuer nicht dabei?
Hilde, geht es dir nicht gut?
Hast du Sorgen?
Das gibt’s ja gar nicht!
Du bist eine Institution beim Stadtfest.
Wie sollen wir es ohne dich schaffen?
Willi hatte seine Worte mit Bedacht gewählt.
Sie konnten ihre Wirkung nicht verfehlen.
Dessen war er sich sicher.
Leider…
Keine Zeit dieses Wochenende.
Ihr werdet es schon schaffen!
Knapp und präzise setzte Hilde ihre Worte.
So, als wäre sie vorbereitet gewesen.
Vorbereitet auf seinen Anruf…
Willi traute seinen Ohren nicht.
Das war nicht die Hilde die er kannte.
Engagiert und tatkräftig.
Und voller Gefühle für ihn…
Er musste es zugeben.
Hildes Engagement ging auf seine Kappe.
Sie war verliebt in ihn.
Seit Jahren.
Das war ihm aber immer ziemlich egal gewesen.
Sie war einfach nicht sein Typ.
Aber er schlief immer wieder mit ihr.
Gelegenheitshalber.
Um sie bei der Stange zu halten…
Hildes Worte schmerzten fast in seinen Ohren.
Sein Mund fühlte sich trocken an.
Er konnte kaum sprechen.
Aber du bist unverzichtbar!
Hilde, wir brauchen dich!
Wie sollen wir Ersatz für dich finden?
Seine Stimme hatte heiser geklungen.
Hilde lachte kurz und trocken auf.
Ihre Stimme klang hart.
Ihr werdet es schon schaffen.
Und was Ersatz für mich betrifft…
Du kannst ja deine Freundin fragen, ob sie mitmacht.
Ob sie ihre hohen Stilettos auszieht und sich in ein Dirndl wirft.
Kellnert und überall dort aushilft, wo Not an der Frau ist…
Und das drei Nächte bis weit nach Mitternacht!
Für dich tut sie es bestimmt!
Das Messer traf tief.
Hilde hatte danach aufgelegt.
Und er hatte sich den Kopf zermartert.
Woher konnte Hilde von Gerdi wissen?
Und davon, dass sie Stilettos trug?
Und dass Gerdi nie im Leben kellnern und für das Stadtfest arbeiten würde?
Gerdi hatte ihr ganzes Leben nie körperlich gearbeitet.
Kaufte vorzugsweise in der besten Boutique der Stadt ein.
Woher wusste Hilde das alles?
Er hatte doch alles getan, seine Beziehung geheim zu halten…
Diesen Schock musste er erst verdauen.
Dann erst gab er Martina Bescheid.
Mike soll mit ihr reden.
Ich hoffe, sie beruhigt sich.
Sie muss es ganz einfach…
Hilde hatte sich nicht beruhigt.
Das heißt:
Sie war nicht laut geworden.
Sie blieb aber bei ihrer Linie.
Sie hätte keine Zeit.
Keine Diskussionen mehr.
Die Kopfwäsche von Mike beschäftigte ihn noch immer.
War es wirklich nur seine Schuld?
Die Sache hatte eine Eigendynamik bekommen…
Das hatte er nicht gewollt.
Wer glaubte denn ernsthaft, er könnte Hilde lieben?
Hilde, diese unscheinbare Person?
Und auch noch älter als er?
Wer denn?
Außer ihr selber?
Diese dumme Gans!
Er war nicht ihr Freund gewesen.
Nur weil er ab und zu mit ihr geschlafen hatte.
Warum machte sie jetzt so einen Aufstand?
Zum Teufel mit ihr!
Es war verdammt unfair was sie da tat.
Hilde war schließlich sauer auf ihn.
Sie hatte nicht das Recht, das Stadtfest deswegen in Gefahr zu bringen.
Hatte er nicht ein Recht auf eine Beziehung?
Einer Beziehung mit einer hübschen Frau?
Viel hübscher als Hilde, diese graue Maus…?
Das war doch nicht fair, oder?
Womit hatte er das verdient?
Vivienne