Die bunte Welt von Vivienne
von Vivienne – Juni 2001
Versteh‘ einer die Frauen
Eine eigene Wissenschaft, das weibliche Geschlecht. Wie, Sie sind anderer Meinung? Hören Sie gut zu, ich erzähl Ihnen jetzt, was meine Freundin so anstellt. Und ich versteh sie gerade wieder einmal überhaupt nicht.
Vicky heißt diese Freundin, eigentlich Viktoria. Viktoria ist an sich eine praktisch veranlagte Frau. Denkt logisch, hat oft gute Ratschläge bei der Hand. Mit Schönheitsfehler. Sie berücksichtigt diese Ratschläge leider selber nicht. Vor allem, was Männer betrifft, schlägt sie meistens daneben… Nicht daß die Vicky häßlich wäre. Brünett, blitzblaue Augen, ein bißchen voller, 33 Jahre alt, aber darauf stehen eigentlich nicht wenige Männer. Trotzdem schafft sie es nie, beim Richtigen hängen zu bleiben… Was glauben Sie, was ihr kürzlich passiert ist.
Vicky wurde von ihrer Firma auf Schulung geschickt, nach Deutschland. Hatte überhaupt keine Lust dazu. Und da lief ihr gleich am ersten Tag dieser Typ über den Weg, der dieselbe Schulung von der eigenen Firma verordnet bekommen hatte. Paul heißt er. Ein paar Jahre jünger als sie, schüchtern (oder auch verklemmt…), 1,83 groß, blondes Haar, blaue Augen, ziemlich fehlsichtig. Nach ihren eigenen Angaben muß er sie wegen seiner Briefmarkensammlung angeredet haben (manche Männer sind auch total einfallslos!). Dann schwatzten die beiden in den Pausen über Gott und die Welt, was eigentlich in Wirklichkeit seine Lieblingsthemen waren… Jeden Abend wurde ich aus ihren Emails über Stand der Beziehung (konnte man das eigentlich schon so nennen?) informiert. Manchmal schüttelte ich den Kopf und dachte mir meinen Teil. Eigentlich steht Victoria auf dunkle Typen, so wie Enrique Iglesias. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, daß die gute Vicky auch von einer gewissen Torschußpanik getrieben war: Mann Beziehung Heirat Kind: las ich zwischen den Zeilen, vielleicht auch zuerst Kind, dann Heirat, Hauptsache Mann…
Vicky mailte mir viel über Paul. Daß er gar nicht weit weg von ihr daheim ist. Noch bei seinen Eltern wohnt. (Hört, hört!) Paul spricht viel und gern. Das las ich raus. Am liebsten über sich selbst und seine Interessen. Vicky horcht gottergeben zu. Er hat wenig Menschen, mit denen er reden kann. Aber mit ihr kann er reden, das hat er ihr schon gesagt. Und Vicky war ganz selig… Selig war sie auch, weil Paul sie bat, für sein Country-Music-Magazin zu schreiben das, er privat ein paar Mal im Jahr herausgibt. Unter Freuden und Gleichgesinnten. In einer seiner seltenen Redepausen nämlich konnte die gute Vicky, die normalerweise selber einen epischen Erzählstil pflegt, zur Sprache bringen, daß Country Musik eine große Leidenschaft von ihr ist. Schon hatte er sie am Gängelband…
Ob er verliebt in mich ist? mailte sie mir an einem Abend. Möglicherweise, schrieb ich zurück. Sicher verliebt ist er in sich selbst! Vicky schmollte drei Tage, drei glückliche Tage für mich ohne Geschwafel über Paul. Ich hatte mich zu früh gefreut. Am vierten Tag rief sie mich abends verzweifelt an. Es gibt da eine Carola, schluchzte sie in den Apparat. Wer ist Carola? fragte ich ungehalten zurück. Es war immerhin schon mehr als 23.00 Uhr…! Ich weiß es nicht, keuchte sie zurück. Wo liegt das Problem? Frag ihn doch, wer diese Carola ist, wenn es so wichtig für dich ist. Ich mußte am nächsten Morgen früh aus den Federn. Aber er könnte doch sagen, daß sie seine Freundin ist! Ich umklammerte den Telefonhörer. Ja, und? Und wenn sie, wie heiß sie noch, seine Freundin ist? Ich könnte es nicht ertragen… weinte sie ins Telefon. Ich durfte mir in der nächsten halben Stunde anhören, wie sehr sie verliebt ist. Daß er ganz anders ist als die anderen Männer, die sie bisher kannte. Daß sie soviel Gemeinsamkeiten haben. Daß sie neben ihm immer so glücklich sei und die anderen Leute in dieser Schulung schon über sie tuschelten, weil sie, Vicky und Paul, ständig beieinander wären. Trampel, dachte ich mir, während ich die Uhr über der Tür fixierte. Trampel, dachte ich mir mehr als einmal. Es hatte gar keinen Sinn, ihr Vernunft zu predigen. Viktoria war wieder in der akuten Phase , wie ich es für mich schon nannte. Wenn ein Mann ihr Denkvermögen auf das Niveau einer Henne gesenkt hatte. Der Phase, in der sie Worten der Vernunft nicht zuträglich war. Arme Vivienne, dachte ich bei mir, das wird eine kurze Nacht…
Ein paar Tage später war Viktoria wieder glückselig. Ihre Emails sprühten vor Glück. Sie wußte zwar noch immer nicht, wer Carola war, aber der gute Paul hatte schon ewig nicht mehr ihren, Carolas Namen, in den Mund genommen. Na gut, dachte ich mir. Soll sie.
Eine Woche später holte ich Vicky vom Flughafen ab. Die Schulung war beendet. Viktoria fiel mir um den Hals und heulte Rotz und Wasser. Er liebt mich nicht! schluchzte sie. Verbittert entrang ich mir die Frage nach dem warum. Er hat sich heute Mittag ganz förmlich von mir verabschiedet. Nicht einmal die Hand hat er mir gegeben. Ich reichte ihr eine Packung Tempo Taschentücher und schob sie von mir weg. Sei doch froh. Weißt Du wenigstens, woran Du bist, wagte ich ihr nach Minuten, in denen außer ihrem haltlosen Weinen nichts zu hören war, zu sagen. Vicky fiel in ein haltloses Schluchzen. Auf der Heimfahrt ein Monolog Viktorias, nur von Tränenausbrüchen unterbrochen. Wie sehr sie ihn liebt. Daß sie nie zuvor so geliebt hätte. Daß sie nie drüber hinweg kommen würde. Daß er so schüchtern sei, so liebenswert, so einfühlsam… Nebenbei erfuhr ich aber auch, daß außer ein paar verschämten Zärtlichkeiten nichts zwischen den beiden gelaufen war. Ja, und in Mamas Hotel wohnt er ja auch noch, paßt gut rein in das Bild. Aber ich sagte kein Wort, es hätte nichts genutzt…
In den nächsten Tagen ging ich Viktoria weitestgehend aus dem Weg. Hob nicht ab, wenn sie anrief. Dem Telefonanrufbeantworter entnahm ich, daß sie sich kein bißchen besser fühlte und sich schon fragte, ob es nicht besser sei, wenn sie allein bliebe. Für immer. Sie ertrage diese Enttäuschungen nicht mehr. Tu das, dachte ich bei mir. Geh ins Kloster, werde Nonne. Aber hör zu jammern auf…
Gestern abend die Sensation: Viktoria glühte vor Glück wie eine Supernova. Paul hat angerufen. Was wollte er denn? fragte ich skeptisch. Mein Magen gab mir wieder einen Stich. Er hat mich gefragt, wann wie uns treffen, weil ich doch für sein Magazin schreibe… Ich keuchte kurz. Hat er sonst nichts gesagt? Nein. Als ich ihn fragte, wie es ihm geht, meinte er, er habe gerade keine Zeit zum Reden. Habt ihr euch einen Termin ausgemacht? Wieder nein. Weißt, Du, ich rief ihn am nachmittag zurück, ich könnte etwas früher Schluß machen und vielleicht zu ihm fahren. Da sagte er, es ginge gerade schlecht, er hätte einen Termin, den er sonst verschieben müßte. Und überhaupt sei das Ganze nicht so eilig. Ich dachte mir, daß der Termin vermutlich Carola hieße, möglicherweise auch Mama. Aber überhaupt war es mir blunzenegal, mit wem sich dieser Paul traf. Ich sah Viktoria ins Gesicht. Momentan sah sie wieder glücklich aus. Aber wie lange? Begreift sie es denn nicht? Der Typ taugt nichts, dem liegt nichts an ihr. Der nutzt sie nur ein wenig aus.
Wie gesagt: Viktoria ist eine kluge Frau. An sich. Charmant, kann sehr witzig sein, sprühend vor Geist. Aber sie und die Männer… Da kommt nichts raus. Gestern abend überlegte ich mir das erste Mal ernsthaft, eine Geheimnummer zu beantragen. Ich ertrage ihre Stimmungsschwankungen nicht mehr, wenn sie sich Sie wissen schon in der akuten Phase befindet. Schon richtig, ich verstehe den Typen natürlich auch nicht. Eigentlich müßte er für eine Frau wie Viktoria dankbar sein. Wie ich schon sagte. Warmherzig, liebenswürdig. Aber ewig die falschen Typen. Versteh einer die Frauen, die sich das immer wieder antun…
Verstehen Sie das?
Ich glaube, ich ruf morgen bei der Post an.
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