DIE BUNTE WELT VON VIVIENNE
von Vivienne – Februar 2002
Versteh‘ einer die Frauen –
Neid is was Schiachs …
Eine Lüge ist wie ein Schneeball, wusste schon Martin Luther. Je länger man ihn wälzt, desto größer wird er. Was bewegt mann, was bewegt frau zur Lüge? Das schlechte Gewissen etwa in einer breiten Vielfalt, um den Seitensprung zu verdecken bis hin um sich besser darzustellen, als man ist. Musterbeispiel der 1 Meter lange Fisch aus dem Teich, der dann in Wahrheit nicht einmal halb so groß war… Es gibt aber auch subtilere Formen der Lüge, in denen sich Ehre, wem Ehre gebührt! auch wieder wir Frauen besonders auszeichnen. Neid ist dabei die stärkste Triebfeder, oft kombiniert mit tiefer Abneigung bis hin zum Hass. Auch wenn zwei Menschen um einen dritten rivalisieren, ist die Wahl der Mittel schon durch den (Selbst)-Zweck gerechtfertigt. Wie heißt es? Im Krieg und in der Liebe… Was aber, wenn es weniger um die Rivalität um einen geliebten Menschen geht sondern vielmehr um die unglaubliche Menschenverachtung, jemandem sein Glück einfach nicht zu gönnen weil man selber nicht glücklich ist…?
Beatrice, meine jüngere Schwester, steht mir am nächsten von allen Geschwistern. Wir sehen uns auch so ähnlich, dass wir unter Umständen auch als Zwillinge durchgehen könnten, obwohl ich fünf Jahre älter und doch ein wenig kleiner bin als sie. Beatrice hatte vor einigen Jahren im Büro eines großen Handelsbetriebes zu arbeiten begonnen. Louis, mein späterer Schwager, arbeitete in derselben Firma im technischen Support, und so dauerte es nicht besonders lange, bis sie sich das erste Mal über den Weg liefen. Gefunkt hat es eigentlich von Anfang an, erinnerte sich Beatrice an einem späten Sommerabend. Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass er sich für mich interessiert. Naja, widersprach Louis mit einem Augenzwinkern. So wars sicher nicht. Mir kam eher vor, dass sie so unnahbar wirkte und kaum private Kontakte in der Firma zuließ.
Das angehende Liebespaar hatte also Anlaufschwierigkeiten. Beatrice fing erst nach einem dreiviertel Jahr an, sich regelmäßig außerhalb der Arbeit mit Louis zu treffen und die lieben Kollegen überrissen erst ziemlich spät, dass die beiden zusammengegangen waren. Beatrices damalige Chefin, Frau Greindl, traf fast der Schlag, als sie es erfuhr. Die Greindl war eine kleine Frau um die Fünfzig und arbeitete in diesem Büro nur mehr auf das 55. Lebensjahr zu um dann so schnell als möglich in die Pension zu entwischen (Damals ging das noch!). Ihre Jahre hatte sie längst beisammen, und ihr Mann, ein pensionierter ÖBB-Mitarbeiter, genoss den Ruhestand schon länger. Die Ehe der beiden war nicht glücklich, das war bekannt, da Herr Greindl von Treue wenig hielt, und der einzige Sohn der beiden hatte längst eine eigene Wohnung.
Als Vorgesetzte war die Greindl kein angenehmer Mensch. Sie war nicht etwa eine von der schreienden Sorte sondern eine, die eher die Politik der kleinen Nadelstiche verfolgte, die ihre Opfer und dazu gehörte auch Beatrice des öfteren meistens mehr Substanz kostete als verbale Tachteln. Ihre Reaktion auf das Liebesverhältnis von Beatrice und Louis war zuerst pure Fassungslosigkeit: Der hat doch einen gestörten Bruder! – wie mir Beatrice kopfschüttelnd erzählte. Der gestörte Bruder ist Luigi, aufgeweckt und lebenslustig und mongoloid. Luigi ist ein unheimlich lieber Bursch mit viel Charme, der unsere zahlreichen Familienmitglieder schnell um den Finger wickelte und meine Mutter bei seinen regelmäßigen Besuchen regelrecht zu Höchstleistungen beim Mehlspeisbacken anspornt. Der Luigi ist ein Feinspitz, und wenn ihm was nicht schmeckt, sagt er das auch.
Kurzer medizinischer Exkurs zum Mongolismus, dem Down Syndrom oder der Trisomie 21, wie diese Krankheit auch genannt wird, ist in dem Sinn nicht vererbbar. Der Name Trisomie 21 kommt daher, dass das Chromsom mit der Nr. 21 dreifach vorhanden ist statt zweimal. Diese Krankheit tritt öfter bei Kindern auf, deren Mütter älter als 35 Jahre alt sind. Natürlich gibt es Familien, in denen diese Trisomie häufiger vorkommt, dabei handelt es sich aber nicht um eine genetische Veranlagung zum Down Syndrom sondern um eine vererbte Neigung zu Chromosomenanomalien, also zu einer falschen Chromosomenanzahl allgemein.
Ich fand es entsetzlich, dass man den süßen Luigi als gestört bezeichnen konnte und schüttelte den Kopf darüber, wie dumm und herzlos ein Mensch eine Behinderung darstellen kann für die der Betroffene gar nichts kann. Wenn Frau Greindl aber gemeint hatte, dass sie mit solchen Äußerungen die junge Liebe rasch beenden hätte können, war sie auf dem Holzweg. Über so Äußerungen wie Willst auch so einen lebenslangen Pflegefall als Bankert? war ich schnell erhaben, erzählte Beatrice. Das war tiefer als tief. Aber, schmunzelte sie dann, die Greindl gab nicht so schnell auf. Vergiss nicht, sie hatte ja sonst keinen Sinn in ihrem Leben…
Louis musste als Support-Mitarbeiter auch des öfteren und regelmäßig Samstag vormittag arbeiten. Wenn er an einem solchen Samstag dann gegen 5.30 Uhr morgens in die Firma kam, gab es dann immer einen Kollegen, der ihn aufklärte, was seine Liebste nächtens so trieb. Neulich habe ich sie wieder in der Altstadt gesehen, deine liebe Bea, grinste er Louis anzüglich an. Sie hatte drei oder vier Typen bei ihr hängen, und ich glaub, sie war voll mit Koks… Beim ersten Mal blieb mir schon der Mund offen, gestand Louis mir auf seine unnachahmliche Art. Du musst verstehen Vivi, Beatrice und ich – wir hatten alle Nächte zusammen verbracht, und Klonen war damals noch kein Thema.
Dafür wurde Beatrice, wenn sie Montag morgen wieder ins Büro kam, ihrerseits informiert, dass der Louis am Samstag immer angesoffen in die Arbeit kommt und diesmal konnte er fast nicht mehr stehen. Eine andere liebe Kollegin redete immer herum, ob sie, Beatrice, denn nicht fürchte, dass er, der reiche Unternehmersohn (Louis Eltern führen eine kleine Schneiderei in einer Provinzhauptstadt im Mühlviertel, das dazu!) sie wieder stehen lassen könnte, wenn er erst genug von ihr oder eine Reiche gefunden hätte. Glaubst wirklich, dass du für seine Eltern gut genug bist? stichelte sie mehr als einmal. Dass die ned täuschst, des geht oft schneller als du glaubst, dass dich einer stehen lässt… und erging sich in detaillierten Schilderungen, wie ihr Verflossener sie behandelt hatte nachdem er ihr die ewige Liebe geschworen hatte.
Louis musste sich in seinem Umfeld ähnliche Geschichten anhören. Ich hab zwar meistens versucht, den Leuten, es waren so zwei oder drei, weitestgehend aus dem Weg zu gehen, aber immer ließ es sich nicht vermeiden. Glaubst wirklich, dass du bei der bleibst? tönte es da aus berufenem Kollegenmund. Die hat doch keinen Stall, und glaubst nicht, dass die nur auf dein Geld scharf ist? Wennst ihr nix mehr bieten kannst, is sie weg. Du bist doch jetzt schon nicht der Einzige, wurde bei Louis stetiger Ignoranz noch ein Schäuferl nachgelegt. Weißt, was die oft aufführt, wenn da einer von einer anderen Firma kommt? Also mir wär das nicht recht, wenn die Meine mit wildfremden Männern so ungeniert flirtet. Ich sag es dir ja nur… Erst als Louis angesichts dieser sagenhaften Schilderungen einmal einen Lachkrampf bekam, verebbten die ständigen Belehrungen über seine ach so untreue Freundin nach und nach.
Im Büro bei Beatrice lief es ähnlich. Auch an ihr prallten diese Versuche, Misstrauen zwischen den beiden, Bea und Louis, zu säen, weitestgehend ab. Auch ein letzter verzweifelter Anlauf eine Kollegin rief ein paar Mal bei Louis daheim an und gab sich Beatrice gegenüber als seine richtige Freundin aus scheiterte, nachdem der sonst so ruhige Louis dann einfach den Telefonhörer an sich genommen und dem Mädel ein paar nette Worte gesagt hatte, die der die Tränen in die Augen trieben. Nach knapp zwei Monaten war der Spuk wieder vorbei. Und beide Beatrice und Louis konnten sich leicht ausrechnen, wer diese sinnlose Aktion angezettelt hatte: natürlich die Frau Greindl wer sonst…? In ihrer Mimik war deutlich zu lesen wie persönlich sie ihre Niederlage nahm. Sie ging dann in der Folge öfter in den Krankenstand und trug eine unglaublich getroffene, beleidigte Miene zur Schau, weil sie es nicht verarbeiten konnte, dass all ihren Bemühungen zum Trotz die Beziehung meiner Schwester zu ihrem Freund besser denn je dastand.
Warum? fragte ich Beatrice immer wieder. Warum tut ein Mensch so etwas? Das ist doch krank! Gar nicht zu reden von dem Aufwand, bestätigte sie mir. Sie musste doch die Leute immer wieder instruiren, ihnen erklären, wie sie was zu sagen hatten. Ein Teil der Leute ist ja nicht besonders helle, wenn ich das so formulieren darf. Allein das kostet Zeit und Energie. Aber gerade deshalb, unterbrach ich Beatrice. Hat sie dich wirklich so gehasst?“ Das glaube ich nicht, erwiderte Bea. Da dürften zwei Umstände hineingespielt haben: erstens nämlich ihre eigene, unglückliche Ehe, in der schon lange der Haussegen schief hing. Zweitens hatte es damals gerade längere Zeit kein internes Liebespaar in der Firma gegeben und das Glück eines fremden Pärchens direkt vor ihrer Nase war mehr als sie ertragen konnte.
Aber krank ist es trotzdem, beharrte ich. Was hätte sie denn davon gehabt, wenn sie euch wirklich auseinander dividiert hätte? Pure Befriedigung? Erbost stand ich auf und ging zum Fenster. Ich hatte trotz Beas Erläuterungen große Probleme, den Charakter der Frau Greindl zu fassen. Luigi selbst war nur ein Ventil für diese hasserfüllte Frau gewesen, in Wirklichkeit ging es ihr nur um ja, um Neid, Neid auf jemanden, auf zwei glücklich verliebte junge Leute, und sie war es nicht. Was macht die Greindl jetzt? fragte ich nach einer längeren Pause. Beatrice hatte sich eine Zigarette angezündet.
Louis antwortete fast ein wenig verträumt: Sie ist jetzt schon ein paar Jahre in Pension, aber regelmäßig, so alle zwei, drei Monate, kommt sie in die Firma, auf ein Tratscherl mit ein paar Leuten. Dann strahlte er mich an: Und weißt, Vivienne, dann erkundigt sie sich immer, ob Bea und ich noch beisammen sind. Zu unserer Hochzeit war sie übrigens als einzige in der Firma nicht eingeladen. Er sah uns beide an und begann loszuprusten. Der Gedanke amüsierte ihn königlich und wir, Beatrice und ich, konnten nicht anders, wir lachten mit.
Eigentlich ist sie ein armer Teufel, die Frau Greindl, dachte ich mir. Die Akribie und die Ausdauer, mit der sie versucht hatte, Bea und Louis auseinander zu dividieren, hätten einer edleren Sache besser angestanden. Und selbst nach all den Jahren… Es kann ja nicht sein, was nicht sein darf. Van Gogh sagt: Der Kummer darf sich nicht in unseren Herzen ansammeln wie Wasser in einem trüben Tümpel. Das Herz der Frau Greindl muss schon sehr trüb gewesen sein…
Vivienne
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