Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Juli 2004



Eine Ahnung vom Glück

Es muss Ende April gewesen sein, als mir beim Aufräumen ein uralter Brief in die Hände fiel. Ja, tatsächlich, ein Brief, noch keine Mail, denn zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keinen eigenen PC. Als ich ihn durchlas – die Handschrift sagte mir im ersten Moment gar nichts – stiegen eine paar blasse Erinnerungen in mir auf, die schnell und merklich an Farbe gewannen. Sophie war das, jenes Mädel aus Tragwein, mit der ich über einige Jahre lose befreundet gewesen war. In dem Schreiben, dass sie mir aus dem Urlaub in Frankreich mit einer Ansichtskarte geschickt hatte, erzählte sie mir, dass sie und ihr Freund heiraten wollten, weil sie ein Kind erwarte… Mein Gott, zehn oder zwölf Jahre war das her?

Viele Bilder tauchten in meinem Kopf auf, die ich zu ordnen begann. Ja, wir hatten eine Weile unsere Arbeitsplätze in der Nähe gehabt und der Weg mit dem Zug war auch derselbe, auch wenn sie früher einstieg als ich. Etwa so groß wie ich, hatte sie langes, dunkles Haar, das sie allerdings schon einige Zeit färben musste. Es war ihr von der Mutter vererbt worden, schnell zu ergrauen, und diesem Pech opferte sie viel Geld, weil sie ihre Haare regelmäßig der Chemiekeule unterwarf. Franz, ihr Freund und späterer Mann, war ein sehr sympathischer Mensch, wie ich bei mehreren Treffen feststellen durfte. Sophie und ihr Franz liebten beide Frankreich, vor allem die Provence und fuhren jedes Jahr wieder in verschiedene Regionen der „Grande Nation“ – auf Entdeckungsreise, mit Auto und Wohnwagen oder mit Zelt.

Ich versuchte weiter zu lesen… „…da ich schwanger bin, werden Franz  und ich sicher noch heuer heiraten. Aber vermutlich erst nach der Geburt – der errechnete Termin ist der 14. November, der Geburtstag von Franz. Stell dir – wäre es nicht ganz toll, wenn unser Kind an seinem Geburtstag auf die Welt käme? Wir freuen uns wirklich sehr, und Franz’ Eltern sind ganz aus dem Häuschen über das erste Enkelkind…“ Ich hielt inne. Der Brief datierte vom 3. Juni. Ein anders Bild tauchte vor meinem Auge auf. Sophie mit rot geweinten Augen, als sie mir erzählte, wie sie ihr Kind verloren hatte. Ohne einen äußeren Grund dafür. Plötzlich, an einem Samstagnachmittag, hatte sie krampfhafte Unterleibsschmerzen bekommen und Blutungen setzten ein. Franz war sofort mit Sophie ins Spital in Freistadt gefahren, aber das Unglück hatte sich nicht mehr vermeiden lassen.

Ich legte den Brief zur Seite. Sophie und Franz hatten zwei Monate nach der Fehlgeburt geheiratet, irgendwann Ende August. Wegen meines Urlaubs in Kärnten konnte ich nicht teilnehmen, aber Sophie schenkte mir trotzdem eine Einladung und ein Foto von der Hochzeit: Das Brautpaar vor dem Gemeindeamt von Tragwein. Sophie war etwas pummelig geworden nach der Fehlgeburt, aber sie lachte wenigstens wieder. Ende des Jahres strahlten ihre Augen sogar. Trotz der Übelkeit und der Kreislaufprobleme, denn die hatten einen Grund. Sophie war erneut schwanger geworden, ein Junge sollte es wieder werden, und diesmal durfte einfach nichts schief gehen… Obwohl diese Schwangerschaft unter keinen guten Vorzeichen stand. Nicht nur, dass es Sophie selber nicht gut ging, der Fötus schien langsamer als nötig zu wachsen. Immer wieder musste Sophie ins Spital und schließlich entschied der Gynäkologe, dass meine Freundin früher als üblich in den Mutterschutz gehen sollte, um sich und das Ungeborene zu schonen.

Mit einem Mal tauchten Gesprächsfetzen eines Telefonats in meinem Kopf auf, das ich damals mit ihr geführt hatte. Sophie war trotz aller Beschwerden guter Dinge gewesen. „…nächste Woche muss ich in die Landesfrauenklinik in Linz. Dort werde ich genau gecheckt und vielleicht muss ich ein paar  Tage dort bleiben, aber dort bin ich in den besten Händen, weißt du, Vivi…“ Drei Wochen später erst, ich hatte mir auf Grund des Telefonates wenig gedacht, dass ich von Sophie nichts gehört hatte, erzählte mir Franz, ihr Mann, den ich zufällig vor einer Behörde getroffen hatte, auf welch tragische Art und Weise Sophie ihr zweites Kind verloren hatte. Völlig unerwartet und praktisch unter den Händen der Ärzte hatte Sophie eine Plazentaablösung erlitten, was bedeutete, dass das Ungeborene vom Körper der Mutter keine Sauerstoffzufuhr mehr erhielt. Der Bub, der an sich lebensfähig gewesen wäre, starb hilflos, weil ihm kein Arzt helfen konnte.

Sophie erlitt im ersten Schock einen Nervenzusammenbruch, erholte sich Gott sei Dank aber rasch wieder. Und ein Kind wollten sie und ihr Mann um jeden Preis weiter haben – oder mehr denn je. Relativ bald wurde Sophie wieder schwanger. Und ich erinnere mich gut, dass ich fast Angst hatte, sie jeden Tag, wenn ich sie traf, zu fragen, wie es ihr ging. Sie sah auch nicht gut aus. Sophie litt unter Akne, hatte Magenbeschwerden, die aus der Schwangerschaft resultierten. Sie litt, ganz offensichtlich, aber weniger an der Schwangerschaft selbst, als viel mehr an der Angst, auch dieses Baby zu verlieren. Ein Mädchen, war diesmal diagnostiziert worden, und früh entschieden die Ärzte, den Verlauf dieser Schwangerschaft gänzlich im Spital zu kontrollieren. Ich machte mir damals viele Sorgen um Sophie und hörte förmlich wieder Franz’ Stimme am Telefon, wie er mir erläuterte, dass in der nächsten Woche der Oberarzt der Frauenklinik einen Kaiserschnitt vornehmen wollte – zur Sicherheit . „Hoffen wir das Beste.“ In diesen einfachen Worten klang auch die ganze Sorge von Franz mit, der sich um seine Frau Gedanken machte, und um sein Kind…

Ich fischte aus der Mappe ein eine weitere Fotographie hervor. Sie zeigte Sophie mit ihrer damals gut einjährigen Tochter, Katharina, die kerngesund war und mit kindlichem Erstaunen einen Riesengartenzwerg musterte, der in Nachbars Garten stand. Auch sie hatte schon unverkennbar die dunklen Locken ihrer Mutter geerbt, die ihr Gesicht hübsch einrahmten. Mehr als das fesselte mich aber ihre Mutter, Sophie, die die Kleine an der Hand hielt. Franz hatte mit der Kamera das ganze Glück seiner Frau weniger durch Gesten als vielmehr nur durch ihren Blick eingefangen. Glück, das unbezahlbar, unbeschreibbar ist, und das nur jener ein wenig ahnt, dem nach Rückschlägen ein großer, vielleicht der größte Wunsch in Erfüllung geht. Und Sophie hatte eben die Freuden der Mutterschaft doch noch kennen lernen dürfen…

Vivienne

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