Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Februar 2005



Routine

Andrea blickte auf die Uhr.
Kurz nach fünf.
Es wurde Zeit.
Sie schaltete den PC ab.
Zog sich den Mantel an.
Kollegin Schmiedhauser sah sie fragend an.
Du hast es aber eilig.
Andrea zuckte die Achseln.
Ich muss noch einkaufen.
Es ist heute ein wenig spät geworden.
Die Kollegin lächelte süffisant.
Und da machst du dir so einen Stress?
So viel ich weiß wartet bei dir daheim nicht Brad Pitt.
Ein wütender Blick aus Andreas dunklen Augen traf sie.
Frau Schmiedhauser zuckte zusammen.
Andrea drehte sich um und ging.
Ohne ein Wort.
Hastete in den Lift.
An der Haltestelle vor der Firma fuhr ihr der Bus gerade vor der Nase davon.
Hilflos blickte ihm Andrea nach…

Milch ist noch im Kühlschrank.
Andrea dachte laut nach.
Griff nach dem Schnittbrot.
Die Kekse legte sie wieder hin.
Spülmittel, Kaffee, Tee,…
Im Geist ging Andrea die Liste durch.
Die natürlich daheim auf dem Küchentisch lag.
Wo sie niemand brauchte.
Eier, Berner Würstel, Kartoffel, Salat,…
Mit dem Blick auf die Marmelade prallte sie mit jemandem zusammen.
Trotzdem blickte sie sich nicht richtig um.
Nach dem Mann mit der angenehmen Stimme.
Entschuldigen Sie.
Ihre Worte kamen mechanisch.
Dann fuhr sie mit dem Einkaufswagerl um die Ecke.
Der aufmerksame Blick des Mannes fiel ihr nicht auf.
Der Blick, der ihr folgte…
Andrea hastete weiter.
Es war schon so spät!

An der Kasse eine endlose Schlange.
Andrea trommelte mit den Fingern auf dem Haltegriff.
Sie hasste es zu warten.
Sie hasste es eingeklemmt zwischen den Leuten dazustehen.
Eine halbe Ewigkeit.
Und natürlich musste gerade vor ihr die Verkäuferin noch die Papierrolle wechseln.
Es war ja auch egal.
Kam es auf die paar Minuten noch an?
Endlich nannte die Verkäuferin den Endbetrag.
Andrea griff in die Handtasche.
Wo war ihre Geldbörse.
Andrea begann zu schwitzen.
Mein Gott!
Hatte die jemand gestohlen?
Sie fühlte die Blicke der Leute hinter sich.
In die Stille plötzlich eine Stimme.
Sind Sie nicht vorhin mit mir kollidiert?
Ich glaube, Ihre Geldbörse liegt in meinem Wagerl.
Andrea sah auf.
Verwirrt blickte sie diesem Mann zum ersten Mal ins Gesicht.
Er bahnte sich seinen Weg durch die Schlange.
Hielt ihr die Börse vor die Nase.
Gehört das Ihnen?
Andrea nickte erleichtert!
Welch ein Glück!
Sie griff danach.
Danke.
Der Mann zog seine Hand zurück.
Gerne.
Aber tun Sie mir dafür einen Gefallen?
Gehen Sie mit mir auf einen Kaffee?
Nebenan?

Andrea rang nach Worten.
Ich habe keine Zeit…
Der Mann lächelte leicht amüsiert.
Und was ist morgen?
Selbe Zeit?
Halb sechs?
Andrea kam sich vor wie in einem Film.
Oder einem merkwürdigen Traum.
Sie sah den Mann überrascht an.
Verrückter Kerl!
Was dachte er sich eigentlich dabei?
Aber sie wollte hier nicht streiten.
Nicht, wo schon alle Leute warteten.
Sie nickte und griff wieder nach der Geldbörse.
Dabei fing sie noch einmal den Blick des Mannes auf.
Helle Augen.
Und ein liebenswürdiges Lächeln.
Mit einem Schuss Ironie.
Dann drehte sie sich um.
Zahlte.
Die Kassiererin scannte ungerührt bereits die nächsten Preise ein.
Andrea packte ihre Sachen zusammen.
Die Stimme ließ sie zusammenzucken.
Vergessen Sie nicht morgen, ja?
Im Cafè nebenan!
Andrea drehte sich um.
Wieder der aufdringliche Typ!
Andrea wandte sich wortlos zum Gehen.
Du kannst mich mal!
Ihre Gedanken waren wenig schmeichelhaft.

Fritz wartet schon daheim.
Mechanischer Kuss.
Die üblichen Phrasen.
Wie war dein Tag?
Andrea kochte.
Wendete die Berner Würstel.
Fritz deckte den Tisch.
Zwanzig Minuten später aßen sie.
Schweigend.
Daneben lief das Fernsehprogramm.
Willkommen Österreich.
Später spülte sie das Geschirr.
Fritz erzählte Belanglosigkeiten.
Du bist heute aber still.
Andrea zuckte die Achseln.
Nichts Besonderes.
Sie stellte die Kanne mit dem Kaffee auf den Couchtisch.
Sie tranken Kaffee.
Während die Nachrichten liefen.
Vor dem Sport begann sie die Blumen zu gießen.
Die Waschmaschine lief mit der Buntwäsche.
Heute ist nichts im Fernsehen.
Fritz Stimme klang gelangweilt.
Ich habe schon die ganze Zeit durchgezippt.
Wann kommst du?
Andrea wischte sich über die Stirn.
Ich schau noch meine Mails am PC durch.
Und die Wäsche muss ich dann noch aufhängen.
Wieder ein mechanischer Kuss.
Fast kalt.
Gute Nacht, Andrea.
Eine Weile später schlief Fritz bereits.
Andrea zog sich im Dunkeln aus.
Schlüpfte in das Neglige.
Legte sich nieder.

Andrea dachte nach.
Wie lange war es her dass…?
Fritz hatte sie fast ein halbes Jahr nicht mehr angerührt.
Einfach so.
Ein großer Liebhaber war er nie gewesen.
Aber nun schien ihm die Lust vollends vergangen zu sein.
Andrea seufzte.
Sie hatte eigentlich andere Vorstellungen vom Leben.
Die Routine ließ ihre Lebensfreude zerbröseln.
Unwillkürlich musste sie wieder an diesen Mann im Supermarkt denken.
Ob er das ernst gemeint hatte?
Morgen auf einen Kaffee?
Jedenfalls eine verrückte Idee.
Aber viel zu hartnäckig für einen harmlosen Scherz.
Einen harmlosen Scherz mit einer Unbekannten.
Die er normalerweise nie wieder sehen würde.
Warum sollte sie eigentlich nicht…?
War doch total harmlos.
Sie konnte sich doch treffen mit wem sie wollte!
Und wenn der Unbekannte nicht da war…?
Oh nein, er würde da sein.
Ganz sicher.
Andrea lächelte…

Vivienne

Link: Alle Beiträge von Vivienne

 

Schreibe einen Kommentar