Montagmorgen.
Heinz Kramer saß in dem billigen Stuhl.
In einem Büro des Arbeitsamts.
Ihm gegenüber seine zuständige Beamtin.
Sie starrte in den Computer.
Suchte die Stellenangebote durch.
Die Stille war drückend.
Da hätte ich was.
Die Frau sah Kramer nicht an.
Hilfsarbeiter im Lager.
Sie haben doch PC-Kenntnisse?
Kramer schluckte.
Ich bin gelernter Einzelhandelskaufmann.
Außerdem habe ich Familie.
Wie sollen wir leben?
Von dem Gehalt eines Hilfsarbeiters?
Die Beamtin zuckte mit den Achseln.
Herr Kramer, Sie sind über ein Jahr arbeitslos.
Sie müssen jeden Job annehmen.
Ich habe Ihnen den Passus im Arbeitsrecht neulich schon gezeigt.
Also keine Diskussionen.
Ich drucke Ihnen das jetzt aus.
Und dann rufen Sie in der Firma an.
Vereinbaren Sie ein Vorstellungsgespräch.
Dann sehen wir weiter.
Kramer stand auf.
Er schüttelt den Kopf.
Aber es hatte keinen Sinn mit dieser Frau zu diskutieren.
Er war ihr egal.
Sie wollte ihn einfach nur vermitteln.
Um jeden Preis.
Und sei es auch nur für kurze Zeit.
Was wusste diese Frau schon?
Sie trug teure Markenjeans.
Und eine lange Kette hing um ihren Hals.
Die Frau musste sich keine Gedanken machen.
Um irgendetwas.
Sie konnte ihre Wohnung bezahlen.
Außerdem hatte sie ein Auto.
Er hatte sein Auto als erstes verkaufen müssen.
Als das Geld nicht mehr langte.
Die Beamtin reichte ihm das Blatt mit der Jobinfo.
Machte einen Stempel in sein Kärtchen.
Und trug einen neuen Termin ein.
In zwei Wochen sehen wir uns wieder, Herr Kramer.
Sie setzte ein halbherziges Lächeln auf.
Viel Glück.
Und rufen Sie mich an, wenn es mit einem Job klappt.
Kramer nickte.
Grußlos verließ er das Büro.
Draußen drehte er sich noch einmal um.
Starrte auf die Tür.
Nr. 20.
Kramer war wie betäubt.
Er ging hinaus.
Und stieg auf sein Fahrrad.
Das war günstiger als mit dem Bus fahren.
Zumindest wenn das Wetter passte.
Tausend Gedanken gingen ihm durch den Kopf.
Am liebsten hätte er den Zettel mit dem Jobvorschlag weggeworfen.
Die Stelle als Hilfsarbeiter…
Das war eine Frechheit.
Er hatte eine fundierte Ausbildung.
Und außerdem mehrere Kurse absolviert.
Nur war die Firma Pleite gegangen.
War das seine Schuld?
Er würde sofort wieder arbeiten.
Noch heute!
Aber er war 48 Jahre alt.
Man riss sich nicht um ihn.
Im Gegenteil.
Alle Personalchefs winkten ab.
Sobald er sein Alter erwähnte.
Manche sagte ihm das unverblümt.
Andere versteckten sich hinter Floskeln.
Aber er las es jedes Mal in ihren Augen.
Zu alt!
Kramer stellte das Fahrrad im Hof ab.
Sperrte es ab.
Dann lief er in die Wohnung.
Dritter Stock.
Er verfügte über eine gute Konstitution.
Keine Frage.
Er brauchte keinen Lift…
Kramer sperrte die Wohnung auf.
Drehte das Licht an.
Ein Zettel lag neben dem Schlüsselboard.
Seine Frau war wieder putzen.
Bei einer Bekannten.
Dieses Geld war nicht zu verachten.
Genau wie seine Aushilfsjobs als Kellner im Wirtshaus.
Ab und zu.
Ohne dass das Arbeitsamt etwas davon wusste.
Aber lebensnotwendig.
Die Notstandshilfe reichte nicht.
Sein Sohn war vierzehn.
Ging noch zur Schule.
Und würde nächstes Jahr eine Lehrstelle brauchen…
Kramer ächzte.
Er musste bei dieser Firma anrufen.
Man könnte ihm das bisschen Geld noch streichen.
Wenn er das verabsäumte…
Kramer griff zum Telefon.
Fünf Minuten später legte er auf.
Morgen Mittag sollte er vorbeikommen.
Und ein paar Dienstzeugnisse mitbringen.
Wenigstens war die Firma mit dem Rad erreichbar.
Kein Geld für eine Busfahrt…
Kramer setzte sich.
Machte sich eine Flasche Bier auf.
Und schaltete den Fernsehapparat an.
In der Microwelle surrte sich sein Essen warm.
Das tat es oft.
Seit seine Frau jeden Putzjob annahm.
Kramer trank von der Flasche.
Wischte sich über den Mund.
Wollte er diesen Job überhaupt?
Nein.
Das was nicht sein Niveau.
Aber hatte er eine Wahl?
Er hasste diese Vormittage daheim.
Allein mit dem Fernsehapparat.
Und der tickenden Uhr.
Schon richtig.
Manchmal saugte er.
Oder er wischte Staub.
Aber er kam sich lächerlich dabei vor.
Seine Frau sagte nie viel.
Machte die Hausarbeit.
Wenn sie heimkam.
Vom Putzen bei fremden Leuten.
Ab und zu tröstete sie ihn.
Das wird wieder.
Im Bett klappte es schon lange nicht mehr.
Er konnte nicht mehr.
Von einem Tag auf den anderen.
Nach der Firmenpleite.
Und seine Frau hatte wieder nichts gesagt.
Seither lagen sie schweigend nebeneinander im Bett.
Jeder auf seiner Seite.
Manchmal löste sie Kreuzworträtsel.
Selten redeten sie.
Wir schaffen das.
Seine Frau sagte das bisweilen.
Aber es klang so mechanisch.
Sie jammerte nicht über die Mehrbelastung.
Aber liebte sie ihn noch?
War er nicht ein Versager?
Auch für sie?
Kramer legte die Hand auf die Stirn.
Er fühlte sich so mies.
Fast ständig.
Aber niemanden kümmerte es.
Niemanden…
Vivienne