Teil 6 – Der Igel Stefan

Der Bauer kam am nächsten Morgen in die Scheune. Er betrachtete den kleinen Igel, der verschlafen blinzelte. Später brachte der Knecht einen kleinen Napf, eine Dose Hundefutter und eine zusätzliche Schüssel für die Milch.

Rolf, der Hund, hatte sich Philips Bericht mit Sorge angehört. „Der kleine Kater verjagt Ingolf! Das ist kaum zu glauben!“

Melissa gab ihm Recht. „Es hätte Schlimmes passieren können!“

Philip, der noch etwas müde war, widersprach vorsichtig. „Aber August hat doch den Fuchs auch schon verjagt – auf dieselbe Art wie ich! August ist weder sehr klug noch sehr stark – eigentlich war es doch nichts Besonderes!“

Rolf unterbrach den Kater. „Du meinst doch nicht diese Geschichte, die unser Hahn so gern erzählt?“ Philip nickte.

Seine Mutter fuhr an Rolfs Stelle fort: „Weißt Du, Philip, August ist ein alter Angeber. In Wirklichkeit hat der Bauer mit der Flinte den Fuchs verjagt. August hat nichts dazu getan. Ingolf ist ein verschlagener Räuber. Immer wieder hat er die Gesetze des Waldes gebrochen. Als er vor vielen Jahren eine junge Häsin zum Spaß jagte, dass sie ins Wasser fiel, hat ihn der Rat der Waldtiere bestraft. Seither ist er ausgestoßen und darf keine Beute mehr unter den Tieren des Waldes machen. Auch darf er nicht mehr im Wald leben. Sollte er einmal gegen diesen Schiedsspruch verstoßen, hat er sein Leben verwirkt. Du verstehst sicher, warum er sich die Hühner und Gänse von den Bauernhöfen holt. Auch die alte Henne Ernestine hat er sich so geholt. Und so kommt es, dass ihn alle Tiere auf den Bauernhöfen so sehr fürchten. “

Philip schwieg erschrocken. Stefan wusste nicht, was er sagen sollte. Der kleine Igel hatte nicht gewollt, dass sein neuer Freund sein Leben für ihn riskierte.

Da lachte Rolf auf.“ Seht doch nicht so betroffen aus, Kinder! Was glaubt ihr wohl, wie sich der alte Fuchs jetzt ärgert! Es ist sehr eine Schande für ihn, von einem Kater verjagt worden zu sein! Wo doch sonst alle Tiere so viel Angst vor ihm haben. Ein kleiner roter Kater bringt den gefürchteten Ingolf um sein Abendessen!“

Auch Melissa schloss sich diesen Worten an: „Du hast dich sehr tapfer und mutig verhalten. Bei aller Unvorsichtigkeit – eigentlich bist du ein Held!“

Philip strahlte vor Stolz. Stefan stupste ihn mit der Nase an und sagte glücklich: „Ich bin froh, dass du mein Freund bist!“

Als Rolf wenig später zum Mittagessen zu seiner Frau lief, lief ihm die Henne Berta über den Weg. Sie hielt ihn gleich an. „Sag, Rolf, stimmt es dass der rote Kater den Fuchs ver­jagt hat?“

Rolf, der wusste, dass sein Essen kalt wurde, lief einfach weiter. Trotzdem war Philip schon in aller Munde. Da Rolf keine Lust gehabt hatte, mit Berta zu plaudern, gingen ein paar Hühner mit ihr zur Scheune. Melissa, die Katze, war genauso verärgert wie Rolf. Sie hätte sie am liebsten einfach weggeschickt, als sie nach Stefan und Philip fragten. Dann verriet sie ihnen aber doch, dass die beiden Freunde beim Teich waren.

Die Katze schüttelte den Kopf, als den Hühnern nachblickte.

Stefan ließ sich von Philip den ganzen Hof zeigen. Auch in die versteckten Schlupf­winkel, in denen der Kater gerne nach kleinem Getier jagte, durfte er hinein schnuppern.

„Du hast hier ein wunderschönes Leben!“ war Stefan beeindruckt. „Deine Mutter sorgt für dich. Viele Freunde, wie Rolf oder seine Frau Rita haben Zeit für dich. In eurer Scheune hast du es sicher und warm.“ Verstimmt hielt Stefan inne. Er dachte an seine Familie.

Philip wusste nicht, was er sagen sollte. Schließlich meinte er:“ Wenn du möchtest, werden meine Mama und ich deine neue Familie sein. Dann bist du mein Bruder. Und ich weiß, auch meine Mama hat dich gern.“

Er verstummte. Hinter dem Ohr hatte es ihn stark zu jucken begonnen. Bevor Stefan fragen konnte, wälzte sich Philip am Boden. „Hilfe!“ schrie er. „Es beißt und juckt so viel!“

Stefan dachte schnell nach. „Flöhe!“ rief er. „Du hast meine Flöhe!“

„Was soll ich bloß tun?“ klagte Philip. Vier Pfoten reichten längst nicht aus um alle juckenden Stellen zu kratzen.

Stefan blickte sich Hilfe suchend um. Was konnte er nur tun? Der Teich vor ihm glitzerte in der warmen Nachmittagssonne. Aber natürlich! „Ins Wasser!“ schrie Stefan. Philip blickte überrascht auf. Für einen Moment vergaß er zu kratzen. Dann verstand er. Mit einem gewaltigen Satz sprang er in den Teich. Wenige Minuten drauf schwamm Philip wieder ans Ufer. Stefan lachte.

Der Kater war nass – aber dafür ohne Flöhe.

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