Wenn du mich liebst, tust du es doch…

Susanne lag wach im Bett.
Sie starrte gegen die Decke.
Die Dunkelheit hatte etwas Bedrohliches.
Neben ihr schnarchte Willi.
Willi, ihr Mann.
Als schliefe er den Schlaf des Gerechten.
Vier Jahre waren sie jetzt verheiratet.
Und am liebsten wäre sie davongelaufen.
Susanne stand auf.
Ging ins Nebenzimmer.
Der kleine Simon schief in seinem Bettchen.
Einen Teddybären im Arm.
Die blonden Locken fielen ihm ins Gesicht.
Susanne betrachtete ihn lange.
Sie wusste nicht, warum sie es tat.
Aber Willis Worte kamen ihr immer wieder in den Sinn.
Wäre es nicht Zeit für ein zweites Kind
Unser Stammhalter ist fast zwei Jahre alt…
Sie sah Willis Gesicht dabei vor sich.
Mit diesem anzüglichen Grinsen.
Nein.
Susanne spürte Übelkeit in sich aufsteigen.
Sie wollte kein Kind mehr.
Genau genommen…
…wollte sie überhaupt nicht mehr mit Willi schlafen.
Sie bekam Bauchschmerzen, wenn sie nur daran dachte…
Bauchschmerzen.
Und Brechreiz.

Willi hatte immer viel Wert auf Sex gelegt.
Susanne erinnerte sich.
Bei einer Zigarette und einem Kaffee.
Sie saß in der Küche.
Das Radiogerät sendete sanfte Musik.
Und anfangs war sie auch bereit dazu gewesen.
Sie teilte seine Leidenschaft und seinen Hunger nach Intimität zwar nicht.
Aber das würde sich geben.
Davon war sie überzeugt.
War es nicht immer so?
Am Anfang einer Beziehung war man noch gierig nach einander.
Konnte man nicht genug von einander bekommen.
Und man vögelte ohne Ende.
Um sich kennen zu lernen.
Um sich zu erforschen.
Aber nach einer gewissen Zeit pendelte sich das immer ein.
Das war bei ihrem letzten Freund auch so gewesen.
Warum sollte das bei Willi anders sein?
Aber Willi war anders.
Und er gab nicht nach.
Er forderte sein Recht ein.
Fast jeden Tag.

Susanne inhalierte den Rauch hektisch.
Schließlich begehrte sie einmal auf.
Ich kann nicht mehr.
Ich fühle mich nicht danach.
Lassen wir es doch heute…
Bitte!
Leise Verzweiflung in ihrer Stimme.
Willi hatte sie angestarrt.
Mit großen Augen.
Dann hatte er sich mit zusammengekniffenen Lippen abgewandt.
Ich dachte, ich bedeute dir etwas.
Du weißt wie wichtig mir das ist.
Bei alle dem Stress in der Arbeit brauche ich einen Ausgleich.
Wenn du mich wirklich lieben würdest…
Susanne hatte geschluckt.
Und fünf Minuten später hatte sie die Beine doch breit gemacht.
Für ihren Mann.
Der seinen Frust in der Arbeit durch exzessiven Sex mit ihr kompensierte.
Der im Gespräch in Männerrunden oft mit seinem „Stehvermögen“ prahlte.
Im wahrsten Sinn des Wortes.
Susanne begann die Freude am gemeinsamen Sex zu verlieren.
Immer seltener empfand sie etwas bei diesen Pflichtübungen.
Die sie überforderten.
Immer geringer würde ihr Bedürfnis mit Willi zu schlafen.
Von sich aus.
Ganz im Gegenteil.

Tränen stiegen in ihren Augen auf.
In der letzten Zeit tat ihr der Sex mit ihrem Mann oft schon weh.
Sie machte nur mehr die Augen zu.
Stöhnte leise.
Damit ihm nichts auffiel.
Und betete dabei, der Akt würde schnell vorübergehen.
Willi schien ihr Desinteresse nicht zu bemerken.
Oder zu fühlen.
Aber sie begann ihren Mann zu hassen.
Immer öfter ertappte sie sich dabei.
Wenn er sie umarmte.
Oder küsste, hätte sie schreien können.
Auch wenn es einmal nicht zum Vorspiel gehörte.
Willi war unglaublich oberflächlich.
Sein angeknacktes Ego pflegte er mit seinen Höhepunkten im Bett.
Je öfter er kam, desto besser fühlte er sich nach einem harten Tag.
Wie es ihr dabei ging, war ihm egal.
Ihr Mann war nichts als ein Komplexler.
Und er hatte sie kaputt gemacht.
So sehr, dass sie sterben wollte.
Manchmal.
Lieber sterben, als noch einmal mit ihm zu schlafen.
Die Tränen flossen über ihr Gesicht.
Susanne begann zu schluchzen.
Barg ihr Gesicht in ihrer Hand…
Nein, sie wollte nicht mehr!

Susanne hatte sich wieder schlafen gelegt.
Der kleine Ausbruch hatte sie beruhigt.
Sie zog die Decke über die Schulter.
Ihr war kalt geworden.
Überhaupt fror sie sehr oft in den letzten Wochen.
Susanne konnte sich das nicht erklären.
Der Frühling war doch so warm!
Zuerst hatte sie geglaubt, sie würde krank werden.
Sie war aber nicht krank.
Letzte Woche war sie beim Arzt gewesen.
Der hatte genickt.
Ihre Blutwerte sind in Ordnung.
Übelkeit sagen Sie?
Kopfschmerzen?
Vielleicht der Stress in der Arbeit.
Oder der Kreislauf.
Schließlich ist es schon so warm.
Fast zu warm für April!
Das macht vielen zu schaffen!
Er hatte sie angelächelt.
Machen Sie sich keine Gedanken!
Es ist alles in Ordnung…
Vor Susannes Augen verschwamm das Gesicht des Arztes.
Ihre Augen fielen ihr zu.
Sie hörte seine Stimme noch im Traum.
Es ist alles in Ordnung!
Es ist alles in Ordnung
Es ist alles in Ordnung!

Vivienne

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