KRITISCH BETRACHTET
von Vivienne – Dezember 2003
Mundgerecht…
Die Geschichte der weiblichen Sexualität in unserer westlichen Zivilisation ist eine Ansammlung von größeren und kleineren Katastrophen. Katastrophen auf Kosten der Frauen, die ihre Sexualität nicht ausleben durften (es sei denn, sie nahmen sich als Kurtisanen, Prostituierte, etc. das Recht heraus, was aber andererseits von der Gesellschaft als schmutzig angesehen wurde, das lehrte uns in der Bibel schon der Sündenfall Evas!) mussten aber stets ihre ehelichen Pflichten erfüllen: natürlich jungfräulich in die Ehe zu kommen bis hin zum Sterbebett. Sich darauf zu besinnen, eigene Wünsche im Geschlechtsleben zu äußern, wäre einer durchschnittlichen Ehefrau durch viele Jahrhunderte nie in den Sinn gekommen, geschweige denn, auf einen eigenen Orgasmus zu hoffen. Wie viele hatten vielleicht überhaupt eine Ahnung davon, dass es so was gibt…?
Im Roadmovie Thelma und Louise, in dem Brad Pitt Geena Davis den ersten Orgasmus ihres Lebens besorgen durfte, wird die Problematik, dass auch in unserer so fortschrittlichen Welt ein erfülltes Sexualleben für eine Frau keine Selbstverständlichkeit darstellt, offen angesprochen. Sex wird oft zur Pflichtnummer degradiert, vielleicht einmal in der Woche, Samstag Abend vor Wetten, dass.., in zehn Minuten praktiziert, aber es gibt sicher genügend Geschlechtsgenossinnen, die mir bestätigen können, dass es auch deutlich kürzer geht.
Womit wir uns einem zusätzlichen Aspekt nähern: dem Wunsch des Mannes nach…. Oralsex. Männer lieben nämlich Oralsex, die Fölatio oder Felatio genannt (beide Schreibweisen sind korrekt, kommt aus dem Lateinischen: Reizung des Penis durch dem Mund der Frau), weil es für sie die angenehmste Art und Weise ist, im wahrsten Sinne des Wortes, mundgerecht verwöhnt zu werden, ohne selbst aktiv werden zu müssen. Frauen lieben Felatio bekannterweise nicht immer. Der eine Teil sieht daran zwar eine sehr schöne Spielart, die Sexualität mit dem Partner auszuleben, die anderen stehen aber dabei vor einer, so scheint es, unüberwindlichen Hemmschwelle: sie können oder wollen nicht, aus den verschiedensten Gründen.
Da spielt natürlich einerseits der Ekel eine große Rolle. Das Ejakulat des Mannes ist zwar mit Sicherheit nicht giftig oder schwer verdaulich, im Gegenteil, es besteht zu einem großen Teil aus Proteinen, trotzdem ist es für sehr viele Frauen als Nahrungsergänzung gar nicht oder nur schwer vorstellbar. Ein anderer Faktor stellt die typische Stellung bei dieser Form des Geschlechtsverkehrs dar. Für so manche Frau, die nicht selbstbewusst sondern unsicher ist, kann die Dominanz des Mannes dabei als sehr unangenehm um nicht zu sagen demütigend empfunden werden. Womit wir beim Punkt wären: in der Haltung einer Frau zu Oralverkehr spiegelt sich ganz präzise auch ihre eigene Haltung zur Sexualität wieder, ihre Beziehung zum Vater (auch durchaus in allen Ehren!) und zu sich selbst.
Da ich nicht Frau Dr. Gertie Senger bin und auch nicht über ihre psychologische Ausbildung verfüge, möchte ich mich hier nicht in Details verzetteln. Die Problematik, um die es mir hier geht und die ich aufzeigen möchte, steckt für mich im Unverständnis vieler Männer gegenüber dieser Abwehrhaltung ihrer Frauen. So manche Beziehung ist indirekt schon daran zerbrochen, weil ein Mann von einer anderen Frau leichter und einfacher das bekommen hat, was ihm die bessere Hälfte verweigerte… Dabei kann ich es einfach nicht nachvollziehen, dass so mancher Mann deshalb auf den Tisch haut und sagt: Wenn du mich liebst, machst du es trotzdem!
Wie kann man in der Liebe überhaupt solche vermessene Forderungen stellen? (Vielleicht bin ich ja weltfremd, aber geht es nicht in einer Beziehung in erster Linie um gegenseitige Liebe?) Ich würde nie behaupten, dass Sex in einer Beziehung gar nicht so wichtig sein kann. Ganz im Gegenteil. Ich gehe sogar so weit, dass ich sage, Sex ist enorm wichtig für eine erfüllte Beziehung. Und ganz besonders wichtig ist, dass beide Seiten dieser Beziehung, nämlich Mann und Frau, den gemeinsamen Sex genießen. Wenn eine Frau also beim Oralsex Probleme hat, kann der Partner nicht mit der Holzhammermethode werken, ein Ultimatum stellen oder gar die Beziehung dafür aufs Spiel setzen. Es gibt sicher Möglichkeiten, diese Variante trotzdem miteinander zu versuchen, sich feinfühlig heranzutasten an die Materie (Ich möchte hier aber keine Patentlösungen anführen, die gibt es nicht!), trotzdem wird die eine oder andere Geschlechtsgenossin nie den Mut oder die Bereitschaft zur Felatio aufbringen.
Wer weiß auch schon, was in so mancher Frauenseele offen liegt, welche Narben ihr die Möglichkeit versperren, den geliebten Mann auf diese Weise zu befriedigen? Wie ich schon anklingen ließ, die größte Problematik liegt dabei sicher im psychologischen Bereich. Hat ein Mann also das Recht, in einer Beziehung auf Oralsex zu bestehen? Wenn er es tut, muss ich mich fragen, warum er seine körperliche Befriedung höher einschätzt als die Frau die er (angeblich?) liebt. Schließlich geht es hier nicht um die völlige Verweigerung von Sex (die ohnedies auch wirklich krank wäre!) sondern von einer – zugegebenermaßen – sicher sehr angenehmen Variante davon.
Was macht eine Frau, die gerne tanzt, wenn ihr Mann ein Tanzmuffel ist? Wie leicht ist es für einen Nichtraucher mit einem Raucher zusammen zu leben? Wie lebt eine Vegetarierin mit einem leidenschaftlichen Fleischesser? Kann eine Ehe zwischen einem Alternativen, der nur mit dem Fahrrad fährt, und einer Frau, die gern große und schwere Autos fährt, gut gehen? Alles ist ganz sicher möglich, wenn man will. Wenn man tolerant ist. Und wenn man den anderen akzeptiert und liebt, wie er ist. Ohne Kompromisse geht da gar nichts, aber all denen, die verheiratet sind oder in einer guten Beziehung leben, brauch ich das ohnedies nicht zu erzählen.
Mir drängt sich in diesem Zusammenhang einfach nur eine Überlegung auf: wenn ein Mann also nicht akzeptieren kann, dass ihn seine Frau vielleicht nie oral befriedigen kann oder möchte, hat er vielleicht auch das Problem, seine Partnerin selber zu akzeptieren, so wie sie ist…
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